Predigt-Archiv

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Missionssonntag. 30. Sonntag im Jahreskreis

                1 Thess 1, 5c – 10

                                                                                                                                                             Mt 22, 34 – 40

 

A             Wir begehen heute den Missionssonntag. Wir würden diesen gründlich missverstehen, wenn wir ihn nur verstünden als Tag, an dem für die Mission gesammelt wird. Das geschieht zwar auch, weil die Missionsarbeit eben auch mit materiellen Aufwendungen verbunden ist. Aber das Geld ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist ein zeugniskräftiger Glaube, und dieser ist wiederum nicht nur Sache von einzelnen, sondern der Gemeinschaft, die den Glauben des einzelnen mitträgt. Man kann jedem Beliebigen, der etwas versteht, einen Werbeauftrag für eine Ware erteilen; und dieser kann die ungefähren Erfolgschancen bei den verschiedenen Werbeformen errechnen. So etwas geht nicht beim Glauben. Dieser unterliegt nicht erkennbaren Gesetzen. Hier ist der Erfolg nicht machbar. Denn hier ist der Wirkende Gott, und wir können ihm nur dienen.

Wie christliche Mission sich vollzieht: darüber sagen uns auch die beiden Texte etwas, die wir gehört haben. Das wollen wir uns etwas naher anschauen.

 

B1           In dem ersten Text, der Lesung, stellt Paulus der Gemeinde von Thessalonich ein ehrendes Zeugnis aus. Trotz großer Bedrängnis haben sie das Wort Gottes, das er ihnen verkündet hat, mit Freude aufgenommen. So wurden sie zum Vorbild in Mazedonien und in Griechenland. „Überall“, so schreibt er, „ist unser Glaube bekannt geworden, so dass wir nichts mehr zu sagen brauchen.“ Ihr Glaube hat eine Strahlkraft gehabt, dass er geradezu ansteckend gewirkt hat, dass er sich selbst empfohlen hat, dass er von sich aus weitergewirkt hat. Die Kraft, die ihrem Glauben eigen war, lag sicher in der Art und Weise, wie sie miteinander umgingen, dass dies anders war, als es sonst geschieht, dass sie in der Not zusammenstanden und dass sie mit-einander teilten, dass sie taten, was uns Jesus heute im Evangelium sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus ganzem Herzen … und deinen Nächsten wie dich selbst.“                                                                                                        

Es gibt keine intensivere Predigt als die Erfüllung dieser Worte, und diese Form der Predigt kann man nicht delegieren in die, welche die Missionsaufgabe zu ihrer Berufsarbeit machen. Dazu sind alle aufgerufen, die Christi Namen tragen, jedenfalls alle, die sich ausdrücklich zu Jesus bekennen.

 

2             Es besteht hier der Eindruck, dass die Gemeinde von Thessalonich eine geradezu ideale Gemeinde gewesen sei. Das war sie in der Tat, aber ideal doch nur in dem Maß, in dem es überhaupt verwirklicht werden kann.

Wenn es zum Schluss des Briefes heißt: „Wir ermahnen euch, Brüder: Weist die zurecht, die ein unordentliches Leben führen … Seht zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergilt …“, wenn wir das lesen, sehen wir, dass es auch in der Mustergemeinde Schwache gab, solche, die auf ihren Vorteil aus waren. Diese fehlen nicht. Aber es kommt darauf an, was stärker ist. Und zu einem gelebten Glauben gehört auch, dass man anderen verzeiht, dass man andere erträgt.

Es liegt hier also nicht ein Idealismus vor, der im Durchschnitt unsere menschlichen Möglichkeiten überschreitet, sondern ein Idealismus, der wirklich möglich ist. Nicht darin liegt die Schwierigkeit, diesem Beispiel nachzustreben, sondern darin, dass in der Regel unsere Gemeinden zu groß sind (der Zahl nach) und dass darunter der Gemeinschaftsgeist und die Verantwortung füreinander leiden. Gerade sie sind für einen missionarischen Glauben von Wichtigkeit.

In den jungen Kirchen, in Afrika und Asien, spielen die kleinen Gemeinschaften von Christen eine große Rolle, Gemeinschaften, die miteinander teilen und miteinander leben. Auf sie haben auch unsere Bischöfe in ihrem Aufruf zum heutigen Missionssonntag hingewiesen.

In diesem Punkt können auch wir etwas lernen von diesen jungen Kirchen, zumindest dies, dass wir den Wert solcher Gemeinschaften deutlicher erkennen. Sie gibt es ja auch bei uns: Sie bestehen seit Jahrhunderten in den Klöstern: sie bestehen daneben in vielen anderen Formen: als Kreise, als Gruppen, als Verbände.                    

Sie können etwas von einer persönlichen Atmosphäre haben, was einer großen Gemeinde nur schwer möglich ist. Und diese ist für viele, für ihren Glauben eine große Hilfe.

 

3             Wir können aus dem Brief an die Thessalonicher einen großen Optimismus heraushören. Wo der Glaube mit Überzeugung gelebt wird, dort zieht er auch seine Kreise, dort weckt er neuen Glauben. Paulus ist zutiefst davon überzeugt, und das, was er in Thessalonich erfahren hat, das hat ihn darin bestärkt.

Bei uns hier könnte man an diesem Optimismus zweifeln. Aber, was wir hier erfahren, das darf uns nicht dazu verleiten, dies auf die ganze Welt zu übertragen. Mögen sich auch die Zahlen verschieben. Sie sagen doch recht wenig. An ihnen ist nicht abzulesen, ob hinter ihnen bloß Namen von Christen stehen, oder ob sie Glieder von lebendigen christlichen Gemeinden bezeichnen.

Hoffnung darf uns heute vor allem die Tatsache machen, dass sie Missionsarbeit, die Evangelisation in der Welt nicht mehr bloß von europäischen Kräften getragen wird, dass nicht mehr ein Kontinent alle anderen missioniert, sondern dass schon jetzt alle Kontinente missionarisch aktiv geworden sind, dass in dieser Hinsicht die Kirche den Schritt von einer Westkirche zur Weltkirche tut. Länder, wie Japan, Philippinen, Korea und auch Indien haben damit begonnen, Missionare auszusenden, z.B.: nach Indonesien und nach Afrika, wo sie segensreich wirken. Walbert Bühlmann, einer der besten Kenner der Situation in der Weltkirche, meint, dass die Mission der Kirche noch eine lange, aber eine faszinierende Zukunft hat. Wir haben keinen Grund, pessimistisch zu sein. Das wäre dem Geist des Evangeliums ganz zuwider, und es würde den Einsatz für die Missionsarbeit hemmen.

 

C             Wenn die Missionstätigkeit heute auch von der Weltkirche geleitstet wird, so heißt das nicht, dass jeder für sich selber sorgen muss. Wir gehören zusammen, und wir müssen denen helfen, die unsere Hilfe brauchen, und das sind viele: Da sind die vielen Bischöfe der Süd-Kirche, die für den Unterhalt ihrer Priester, Katechisten, Brüder und Schwestern aufkommen müssen; da sind die Priester, die meist ausgedehnte Gebiete seelsorglich zu betreuen haben und dies nicht können ohne moderne Verkehrsmittel. Da sind die so wichtigen Katechisten; da sind die Brüder und Schwestern, die den Menschen in ihrer Not helfen.

Im Evangelium hat uns Christus gesagt: „… Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Heute sind diese -, Bischöfe, Priester, Katechisten, Brüder und Schwestern – unsere Nächsten. Handeln wir an ihnen so, wie wir Christus behandeln würden.                                                                                    

Kirchweih 29. Sonntag im Jahreskreis

                                                                                                                                   LK 19, 1-10

 

A         Das heutige Kirchweihfest erinnert uns, - wie sein Name sagt – an die Weihe unserer Kirche; es soll uns wieder den Wert bewusst machen, den wir in unseren Kirchen haben: vorrangig natürlich nicht den künstlerischen Wert, sondern den religiösen Wert: die Kirche, gesehen als Haus Gottes, als Zeichen dafür, dass Gott bei uns ist.

Wie in den vergangenen Jahren, so möchte ich auch heuer eine Einzelheit unseres Kirchenraumes aufgreifen und ihren Sinn und ihre Bedeutung darlegen.

 

B1       Wenn wir unseren Blick nach oben richten, auf die Decke in der Vierung, also in der Mitte über dem Grabmal – von vorne aus ist dies nicht ganz leicht -, dann sehen wir jeweils über dem Scheitelpunkt der vier Bogen, die die Kuppel tragen, vier gelbbraune Bilder. Es sind die Bilder der vier Evangelisten mit den ihnen eigenen Symbolen.

Vorne ist Johannes mit dem Adler; links: Matthäus mit dem Engel; hinten: Lukas mit dem Stier; rechts: Markus mit dem Löwen. Die Bilder selbst sind zwar verhältnismäßig klein, aber durch die kräftigen Stuckrahmen, die in das große Deckengemälde hineinragen, treten sie doch deutlich genug hervor.

Bilder und Figuren der Evangelisten sind in sehr vielen barocken Kirchen zu finden. Verständlich! Wenn diese Abbilder der lebendigen Kirche sein wollen, dann dürfen sie nicht fehlen.

2         Die Bedeutung der Evangelisten für den Glauben der Kirche kann man nicht überschätzen. Wichtig ist aber auch, dass man den Zusammenhang zwischen Evangelien und Kirche recht sieht.

Die ersten Christen, die Urkirche, lebte noch ganz aus der mündlichen Überlieferung. Jesus selbst hat keine Schriften hinterlassen, sondern er hat gewirkt und gelehrt, und das gleiche hat er auch den Aposteln aufgetragen. Was er zu ihnen oder auch zu einem großen Zuhörerkreis gesagt hat, das haben sie weiterverkündet, sie haben gesprochen von seinem Tod für uns und seiner Auferstehung und überhaupt von allem, was er getan hat. Sie haben natürlich seine Worte nicht einfach wiederholt, wie ein Kind, das ein auswendig gelerntes Kapitel aufsagt. Sie haben gesprochen aus dem Verständnis heraus, und zwar aus dem vollen Verständnis heraus, das sie aus der Auferstehung Jesu gewonnen hatten.

Zunächst wurde die Frohe Botschaft, das Evangelium, also mündlich weitergegeben. Aber bald haben einzelne auch versucht, „einen Bericht über die Begebenheiten abzufassen“. Aufgrund der mündlichen Tradition und auch dieser ersten schriftlichen Berichte haben dann vier Schriftsteller die Frohe Botschaft, das Evangelium, niedergeschrieben, und zwar jeder für einen eigenen bestimmten Leserkreis. Diese Schriften, die Evangelien, sind also nicht vier Teile des einen Evangeliums, sondern jeder hat auf seine Weise das Evangelium Christi niedergeschrieben – unter dem Beistand des Hl. Geistes.

Was das Konzil von der Hl. Schrift insgesamt sagt, das gilt besonders für die Evangelien. Sie sind gleichsam der Spiegel, in dem die Kirche Gott, von dem sie alles empfängt, auf ihrer irdischen Pilgerschaft anschaut, bis sie hingeführt wird, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, so wie er ist.“

3         Die Evangelien sind nicht die frühesten Schriften; die Briefe des hl. Paulus sind älter. Ihre Bedeutung liegt darin, dass in ihnen die apostolische Predigt einen umfassenden Niederschlag gefunden hat. Am Anfang stehen also nicht die Bücher, aus denen die Predigt geschöpft hat, sondern am Anfang steht die Predigt, die mündliche Überlieferung, die sich dann in den Schriften niedergeschlagen hat. Deshalb spricht die Kirche auch von Überlieferung und Hl. Schrift als Quellen des Glaubens. Das sind nicht zwei Quellen, die nebeneinander stehen, von sich getrennt, sondern die schriftliche Quelle lebt in der mündlichen, und die mündliche wird durch die schriftliche bezeugt. Die Verkündigung der Kirche, die Predigt, geht den Evangelien nicht nur voraus; die Kirche war es auch, die erklärte, dass diese Schriften authentische Zeugnisse ihres Glaubens sind. Sie hat diese Bücher zu ihren Hl. Büchern erklärt.

4        Von daher ist auch das Verhältnis von Kirche und Evangelien zu sehen. Christus hat den Aposteln geboten, allen Völkern die Frohe Botschaft zu verkünden. Diesen Auftrag haben die Apostel an die Bischöfe weitergegeben. Sie haben nun zu sorgen, dass das Evangelium verkündet wird und dass es recht verkündet wird. Die Kirche steht nicht über dem Evangelium, denn dieses ist ihr von Christus anvertraut. So gesehen, steht sie genauso unter ihm, wie die Apostel unter Christus standen. Aber ihr ist es aufgetragen, dass es -wie gesagt, verkündet wird und dass es recht verkündet wird. Insofern hat sie die Sorge für das Evangelium, und deshalb kommt es ihr auch zu, das Evangelium verbindlich auszulegen. Die Evangelien sind das Wort Gottes, und sie sind die Bücher der Kirche: das eine und das andere. So müssen wir sie verstehen.

 

C         In unserer Kirche, in unserem Kirchenraum sind die Bilder der Evangelisten an der Decke. Wir müssen nach oben schauen, um sie zu sehen.

Wir können das auch in einem übertragenen Sinn nehmen. Die Evangelisten lenken unseren Blick nach oben: auf Gott hin, von dem wir alles empfangen, der sich uns in Christus offenbart hat und der uns verheißen hat, dass wir ihn einmal von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

 

 

27. Sonntag im Jahreskreis

Erntedank 1984

                                                                                                                                                       Jes 5,1 – 7

                                                                                                                                                       Mt 21, 33 – 43

 

A             Die Lesungen, die Texte, die wir an den Sonntagen im Gottesdienst hören, stehen nie ganz beziehungslos nebeneinander. Zwischen ihnen besteht immer irgendeine Entsprechung: manchmal besteht sie nur in einem wesentlichen Begriff, in einem Gedanken, manchmal ergänzen sie sich. Die Entsprechung ist mehr oder weniger groß.

Heute ist der Zusammenhang besonders deutlich: sowohl in der Lesung als auch im Evangelium treffen wir auf das nämliche Bild vom Weinstock. Und es ist nicht nur das gleiche Bild, das wir hier und dort finden, sondern es entspricht sich auch das, was mit dem Bild jeweils gesagt wird. – Sehen wir uns das näher an.

 

B1           In dem sog. Weinberg-Lied, das wir als Lesung gehört haben, vergleicht der Prophet Jesaja das Volk Israel mit einem Weinberg, den Gott gepflanzt und gepflegt hat in Erwartung einer guten Ernte, guter Früchte. „Er hoffte, dass der Weinberg gute Trauben brächte, doch er brachte nur herbe Früchte.“  Und er fragt: „Was könnte ich noch für meinen Weinberg tun, was ich nicht für ihn tat?“ Anders gesagt: Ich habe alles getan, was denkbar ist, aber es war umsonst. Deshalb sein Beschluss: Er wird die Mauern einreißen, so dass der Weinberg verwüstet wird und zum Ödland wird: ein Bild für das Gericht, das dem Volk droht.

2             Im Gleichnis des Evangeliums wird dieses Bild aufgegriffen und weiter ausgeführt. Das Volk Israel erscheint hier im Bild der Winzer, an die der Herr den Weinberg verpachtet hat und von denen er seinen Anteil erwartet. Aber sie weigern sich, ihm diesen zu geben. Er schickt deshalb Knechte zu ihnen, um sie an ihre Schuldigkeit zu erinnern; aber die Pächter jagen sie weiter oder töten sie gar. Selbst vor dem Sohn haben sie keinen Respekt. Sie geben sich sogar der Meinung hin, wenn sie ihn töten, den Erben, dann fällt ihnen der Besitz zu.

Was mit diesen Bildern gesagt werden will, verstehen wir ohne weiteres: Gott sandte seinem Volk immer wieder Propheten, die sie an ihre Pflichten erinnern sollten. Aber mit diesen trieben sie ein böses Spiel. Denken wir etwa an den Propheten Elia, den vor allem die Königin verfolgen ließ und durch das Land hetzte, weil er gegen den Götzenkult angekämpft hat, oder an den Propheten Jeremia, den man ins Gefängnis steckte und dann in die Zisterne warf, um ihn loszuwerden, diesen unangenehmen Mahner. Wie man mit dem Sohn umgegangen ist, wissen wir.

Alles, was der Herr tat, tat er, um die Winzer zur Vernunft und zur Umkehr zu bringen. Aber es war umsonst. Die Folge ist, dass er ihnen den Weinberg nehmen und anderen geben wird.

Auf diese Folge kommt es hier vor allem an. Hier liegt der Kernpunkt dieser Bildrede: das alttestamentliche Gottesvolk wird abgelöst. An seine Stelle tritt das neue Gottesvolk, treten die, die an den Sohn glauben und sich an sein Wort halten. Die neuen Winzer, das neue Gottesvolk: das ist die Kirche.

3             Wenn sich die Kirche als das neue Gottesvolk versteht, so schließt das nicht eine Geringschätzung oder gar Verachtung des Volkes Israel ein, was in der Vergangenheit leider immer wieder geschehen ist. Das wäre nicht nur dem Geist der Liebe zuwider, der alles Denken, Reden und Handeln bestimmen muss. Das dürfen wir auch nicht, weil wir ihm vieles verdanken: all das, was das alte Gottesvolk in seiner langen Geschichte mit Gott erfahren und erkannt hat, die grundlegenden religiösen Wahrheiten, auch sein Gebetsschatz. Das verbietet uns, dass wir uns über sie erheben. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass nicht nur Christus selbst, sondern alle Glieder der Urkirche dem Volk Israel entstammen, dass die Einladung zur Christen-Gemeinschaft auch an dieses Volk weiterhin besteht.

Auszeichnen soll uns als das neue Gottesvolk, als Kirche nicht das Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein, sondern der Wille, wirklich gut zu sein, was hier im Schlusssatz ausgedrückt ist: „Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird … einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt.“

4             Wie sieht es aus mit den Früchten des Weinbergs, der wir sind, mit den Früchten der Kirche? Wenn wir sagen „Früchte der Kirche“, besteht die Gefahr, dass wir auf die schauen, die in der Kirche ein Amt haben und zu wenig auf uns selbst. Aber „die Kirche“: das sind doch wir. Wir tragen Mitverantwortung für das Ganze, und das Ganze wird bestimmt von dem, was die Einzelnen tun, von dem, was jeder von uns tut. Letztlich geht es um die Frage, wie es mit meinen Früchten aussieht.

Im Zusammenhang mit dem Erweiterungsbau unserer Schule und den Beobachtungen und Erfahrungen, die man mit den Handwerkern macht, kommt mir immer wieder der Gedanke: Wenn Gott das gleiche Maß, das wir an die Arbeit anderer, der Handwerker anlegen, an mein Handeln anlegt: wäre er wohl zufrieden mit dem, was ich tue, wäre er zufrieden mit mir?

War oder ist mein Gebet so gut wie die Arbeit der Zimmerleute? War mein Umgang mit meinen Mitmenschen so gut wie die Arbeit der Maler? War mein Einsatz für Gott und seine Sache so groß wie ihr Einsatz?

Wie groß sind unsere Ansprüche an andere dort, wo es nur um Dinge geht, dass sie sauber gearbeitet sind, und wie klein sind im Vergleich dazu unsere Anstrengungen, die Ansprüche Gottes zu erfüllen.

Oder ein anderer Vergleich: Wie bemühen sich die Bauern, den Ertrag ihrer Felder zu steigern. Wie alltäglich ist dagegen im Allgemeinen unser Bemühen, die Qualität der geistlichen Früchte zu verbessern.

Enttäuschen wir den Herrn des Weinbergs nicht, wie die ersten Winzer ihn enttäuscht haben. In der Bildererzählung sehen wir, das Unrecht, die Torheit der ersten Winzer sehr gut ein. Übertragen wir diese Einsicht von dieser Ebene der Erzählung auf das konkrete Leben, auf unser Leben.

 

C             Wir feiern heute Erntedank. Auch die Dankbarkeit gehört zu den guten Früchten, die wir bringen sollen. Sie ist Ausdruck des Glaubens an die schöpferische Macht Gottes, die alles hervorbringt und bewirkt; sie ist der Ausdruck des Glaubens an die schenkende Liebe, in die unser Leben eingebettet ist.

Was wir tun, ist immer nur Antwort auf das, was er tut. Er erwartet etwas von uns, aber nur von dem, was er uns zuvor gegeben hat.

26. Sonntag im Jahreskreis

(Wort zum Caritas-Sonntag)

                                                                                                                      Mt 21, 28 – 32 

1a)       Am Anfang unseres Evangeliums steht eine einfache Bildrede, das Gleichnis von den ungleichen Söhnen, mit dem sich Jesus an die Hohenpriester und Ältesten wendet.

Er fragt sie: Was meint ihr? Wer von den beiden Söhnen hat den Willen des Vaters erfüllt: der, der ja sagte, aber dann nicht tat, was er versprach, oder der, der zu seinem Vater sagt „ich will nicht“, es aber dann dennoch tut. Die Antwort darauf ist eindeutig. In diesem Sinn äußern sich auch die Gefragten.

b)         Darauf folgt sogleich die Deutung bzw. die Erklärung der Absicht, die Jesus mit dieser Bildrede verfolgt hat. So wie der erste Sohn, so handeln die geistigen Führer des Volkes, so wie der zweite Sohn, die Zöllner und Sünder. Mit diesem Gleichnis drückt er aus, was er erfahren hat: dass ihn die Etablierten ablehnen, während die verachteten Sünder ihn und seine Botschaft annehmen.

So war es schon bei Johannes. Auch ihn haben die Angeredeten nicht angenommen; die Sünder aber haben ihm geglaubt.

 c)         „Zöllner und Sünder gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Wir können uns denken, wie ein solches Wort auf die Hohenpriester und Ältesten, die sich für die treuen Juden ansahen, gewirkt hat, welche Gefühle es geweckt hat. Sie hatten schon daran Anstoß genommen, dass Jesus auch mit Zöllnern sich zu Tisch setzte, mit ihnen Mahl hielt; jetzt nimmt er direkt Partei für sie und spricht ihnen zu, was sie für sich erwarteten.

 2          Die eigentliche Frage für uns ist die: Was enthält dieses Gleichnis an Bleibendem, anders ausgedrückt: Was sagt es uns?

Es ist dies: Auch wenn man Gott zu kennen glaubt, kann man ihn dennoch verfehlen.

a)      Ich habe hier schon manchmal überlegt, wie ich denn gehandelt hätte, wenn ich damals gelebt hätte und mich gemüht hätte um ein gesetzestreues Leben. Wäre ich nicht vielleicht auch gegen ihn, gegen Jesus gewesen? Hat er nicht immer wieder das heilige Sabbatgebot gebrochen wenn auch zu einem guten Zweck; hat er nicht für sich Rechte in Anspruch genommen, die allein Gott zustehen; hat er nicht Sünden vergeben! Und zugleich hat er den Kontakt nicht mit denen gemieden, die sich nicht an die Gebote gehalten haben.

Wenn man ein festes Gesetz hat, das alle Handlungen regelt, wenn man Gott zu kennen glaubt und meint zu wissen, was man von ihm erwarten kann und was nicht, dann wird man sich gegen alles zur Wehr setzen, was nicht zu diesen Vorstellungen passt, und dies im Namen Gottes. Von einem solchen Denken, einem solchen Standpunkt ist das Versagen der führenden Schicht des Volkes durchaus verständlich. Man braucht sich bloß in diese Lage hineinzuversetzen.

 b)      Und die Gefahr, die damals bestand, besteht auch heute noch, sie besteht immer. Gott ist der Lebendige, der sich nicht erfassen lässt in Aussagen über ihn. Das macht es unmöglich, dass wir uns ein Bild von ihm machen, von dem aus klar zu entscheiden ist, was ihm entspricht und was nicht, was von ihm her sein kann und was nicht.

 c)      Wenn sich jemand doch ein festes Bild von ihm macht, weil er ihn ganz zu kennen glaubt, dann kann sein, dass er von ihm enttäuscht wird und sich gegen ihn stellt, wenn sich seine Erwartungen nicht erfüllen, die er mit seinem Gottesglauben verbindet.

  d)      Es müssen nicht unbedingt persönliche Schicksale sein, die ihn von diesem Gott wegführen, es können auch Gemeinschaftsschicksale sein: die Armut in der Welt, der Egoismus der Menschen, das seelische Leid vieler Menschen. – Wie kann Gott das zulassen?

 e)      Stehen ihm im Vergleich zu diesen, die Gott  einzwängen in feste Bilder und Vorstellungen und ihm dafür im gewissen Sinn Vorschriften machen, nicht jene näher, die zwar immer wieder versagen, deren Wille schwach ist, die sich einfach seiner Barmherzigkeit übergeben, … die wissen, dass Gott größer ist, als unsere Gedanken und Bilder von ihm sind, die ihn nicht für sich in Anspruch nehmen gegen andere, die nur seine Güte ganz groß sehen uns allein auf sie bauen.

 f)       Wenn wir glauben, Gott zu kennen, genau zu kennen, dann kennen wir ihn gerade nicht. „Ihn kennen“ heißt vielmehr, ihn immer suchen und sich ausstrecken, ihm näherzukommen durch ein Vertrauen ohne Grenzen.

 

C                So ernst wir das nehmen sollen, was uns hier gesagt wird: es soll uns aber nicht angst machen oder unsicher, wir könnten uns einer unberechtigten Hoffnung überlassen, wir könnten uns fasche Vorstellungen von Gott machen und damit auf einem falschen Weg sein. Denken wir groß von ihm und von seiner Güte: dann ist alles gut.

25. Sonntag im Jahreskreis

                                                                                                                      Phil 1, 20 – 24. 27a

                                                                                                                      Mt 20, 1 – 16a

 

A          Seit einigen Jahren haben wir hier bei uns und in allen Industrienationen eine hohe Zahl von Arbeitslosen. In der BRD liegt sie bei  etwa 2 ½ Mill.. Das ist ein sehr ernstes Problem, wie jeder weiß, dem aber sehr schwer beizukommen ist.

Noch größer ist dieses Problem in den Ländern der 3. Welt – dort ist die Zahl der Arbeitslosen noch wesentlich höher -; größer war sie auch in früheren Zeiten, z.B. in der Zeit Jesus. Und das Schicksal der Arbeitslosen ist dort und damals noch härter, weil es nicht das Versicherungswesen gab bzw. gibt, das wir heute haben.

Viele stehen auf dem Marktplatz herum, nicht weil sie nicht arbeiten wollen, sondern weil sie keine Arbeit haben. Auf diesem Hintergrund müssen wir das Gleichnis sehen, das uns Jesus erzählt, das wir eben als Evangelium gehört haben.

 

B1        Das Gleichnis ist deutlich in zwei Einheiten eingeteilt: Zuerst geht es um die Anwerbung von Arbeitern für den Weinberg, und dann geht es um ihr Entlohnung.

a)      Zum erstenmal geht der Gutsherr am frühen Morgen auf den Marktplatz, um Tagelöhner anzuwerben; um die dritte Stunde (d.h. um 9.00 Uhr) geht er wieder auf den Marktplatz, um weitere Kräfte zu suchen; dann nochmals am Mittag und am Nachmittag, ja sogar noch in der elften Stunde (um 17.00 Uhr), kurz vor Arbeitsschluss.

b)      Nach der Arbeit wird der Lohn ausbezahlt. Jetzt wird es „kritisch“. Der Gutsherr gibt seinem Verwalter die Anweisung, mit den Zuletztgekommenen anzufangen. Hätte er es umgekehrt gemacht, dann wäre wohl alles glatt abgelaufen. Die Arbeiter der ersten Stunde hätten den mit ihnen vereinbarten Lohn und wären gegangen. Aber so sehen sie, dass die, die nur eine oder nur drei Stunden gearbeitet haben, auch soviel Lohn bekommen wie sie. Darüber sind sie ungehalten und werfen dem Gutsherrn Ungerechtigkeit vor.

In diesem provozierenden Handeln des Gutsherrn und der Reaktion der Arbeiter liegt die Spitze unseres Gleichnisses.

 

2          Man kann darüber streiten, ob das Verhalten des Gutsherrn gerecht ist oder nicht. Die einen sagen: Das Handeln widerspricht dem Grundsatz „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ und ist deshalb ungerecht. – Die anderen sagen: Die ersten Arbeiter erhalten den mit ihnen vereinbarten Lohn – einen angemessenen Lohn: Warum darf der Gutsherr nicht so großmütig sein und den anderen, die auch leben müssen, die auch eine Familie haben, nicht genauso viel geben, auch wenn sie weniger gearbeitet haben.

Aber lassen wir uns von dieser Frage nicht einfangen. Sie würde uns nämlich auf einen falschen Weg führen. Jesus spricht hier nicht über die soziale Gerechtigkeit, sondern er spricht vom Reich Gottes. Es hängen zwar die beiden miteinander zusammen. Aber hier will jedenfalls nicht das Idealbild eines Unternehmers gezeigt werden, sondern mit dem Gutsherrn will uns Jesus etwas über Gott sagen. So wie der König im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger, das wir am vergangenen Sonntag hörten, ein Bild für Gott ist, so ist auch hier der Gutsherr ein Bild für Gott.

 

3          Gerade wenn jemand meint, der Gutsherr hätte anders handeln müssen – als Gutsherr, als Unternehmer -, kann er durch dieses Gleichnis erkennen, dass Gott anders ist, als wir ihn uns vorstellen, wenn wir von uns ausgehen. Jeder, der an Gott glaubt, ist überzeugt, dass Gott ewig ist, dass er allmächtig ist: wäre er das nicht, dann wäre er nicht Gott.

Aber das ist nicht alles. Sähen wir nur das, dann wäre Gott für uns eigentlich nur eine Art Übermensch, der zwar mächtig und ewig ist, aber doch wie ein Mensch denkt, urteilt, handelt.

Ein solches Gottesbild entspricht nicht dem, wie Gott sich uns offenbart hat. Schon im AT, beim Propheten Jesaja, hören wir als Spruch Gottes (= Lesung): „Meine Gedanken sind nicht euere Gedanken, und meine Wege sind nicht euere Wege. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über euere Wege und meine Gedanken über euere Gedanken.

Jesu Wort und vor allem Jesu Leben verstärkt dies noch: Gott ist nicht ein Gott nach unseren Vorstellungen, er ist nicht einfach ein Übermensch, sondern er ist ein anderer, den wir nur erkennen können, wenn wir auf seine Worte und auf sein Handeln achten.

 

4          In der Frage des Gutsherrn an die unzufriedenen Arbeiter: „Darf ich mit dem, was mir gehört nicht tun, was ich will? Bist du neidisch, weil ich zu anderen gütig bin?“ wird klar, dass Gott nicht nach dem Rechtsstandpunkt, sondern dass er nach dem Grundsatz der Güte handelt und auch dem Letzten noch einen vollen Tagelohn ausbezahlt, sofern man hier noch von „Lohn“ sprechen kann.

Jesus meidet das Wort „Lohn“ nicht und die damit verbundene Vorstellung, die in unserem Leben eine so große Rolle spielt, schon beim kleinen Kind. Er mahnt uns etwa in der Bergpredigt, unsere Gerechtigkeit nicht zur Schau zu stellen vor den Menschen, sonst hätten wir keinen Lohn beim Vater zu erwarten. Er verwirft die Lohnvorstellung nicht völlig, aber er gibt ihr einen neuen Sinn und einen neuen Stellenwert, vor allem einen neuen Sinn.

 

a)      Göttlicher Lohn ist für ihn – und damit für uns – immer himmlischer Lohn, weil Teilnahme am Reich Gottes; er ist nicht irdischer Lohn, wie Gesundheit, Erfolg, langes Leben.

b)      Und weiter: Es gibt für ihn und damit für uns – keinen Anspruch auf den himmlischen Lohn, sondern er ist immer Gnadenlohn. Wir können ihn uns nur schenken lassen von dem gütigen Gott; er ist uns niemals etwas schuldig. Er Lohn, die Gemeinschaft mit ihm, ist etwas so Großes, dass es ganz unmöglich ist, sich dies zu verdienen.

Schon in diesem Leben kann man das Größte, das Wichtigste nicht erwerben, nicht kaufen, nicht verdienen, sondern nur als Geschenk empfangen. Erst recht gilt das für Gott. Und auf diese Tatsache will uns unser Gleichnis hinweisen. Wer meint, dass mit solchen Erzählungen Arbeitsmoral untergraben werde, der bewegt sich auf völlig falschen Wegen. Jesus zeigt uns hier, wie Gott ist.

C          Was uns hier gezeigt wird, die Güte Gottes, ist für unser Verhältnis zu Gott von entscheidender Bedeutung. Aber weil das Handeln Gottes vorbildhaft ist für unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber, ergeben sich daraus auch dafür Konsequenzen. Das Gleichnis ruft uns auch auf, gütig, großzügig zu sein und von aller kleinlichen, neidischen Kontrolle unserer Mitmenschen abzulassen.

Reihen wir uns ein in die Schar der Arbeiter hier im Gleichnis, und freuen wir uns mit jedem, der seinen Denar erhält.

24. Sonntag im Jahreskreis

                                                                                                          Sir 27,30 – 28,7

                                                                                                          Mt, 21 – 35

A          Am Anfang unseres Evangeliums steht die Frage des Petrus an Jesus: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben?“

Auf den wahrlich nicht kleinlichen Antwort-Vorschlag „bis zu siebenmal“ antwortet Jesus: Nicht siebenmal, sondern immer, wenn es notwendig ist. Das will das siebenundsiebzigmal sagen: Immer, ohne jede Einschränkung.

Das folgende Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger ist zwar nicht direkt die Illustration dieser kurzen Weisung. Aber es hängt mit dieser zusammen. Ihm wollen wir unsere Aufmerksamkeit schenken.

 

B 1       Die kleine Geschichte, die Jesus hier erzählt, zeigt ein Doppeltes: Sie zeigt uns zum einen, wie Gott ist, und sie zeigt uns zum anderen, wie der Mensch sein kann. Wie Gott ist, zeigt sie uns im Bild des Königs, der seinen Diener, seinen Verwalter, seinen Statthalter zur Rechenschaft zieht.

Dass wir es mit einem einflussreichen, mächtigen Diener zu tun haben, erkennen wir an der Größe der Schuld; es muss viel Geld durch seine Hände gegangen sein. Man kann sich denken, dass er die Steuergelder einer ganzen Provinz verschleudert hat. So hoch ist der angegebene Betrag. Für den König ist das kein Pappenstiel. Voll Empörung über diese Untreue befiehlt er, dass er und seine ganze Familie in die Schuldknechtschaft verkauft werden. Doch als er sich ihm zu Füßen wirft und um Nachsicht bittet, erweist sich der König barmherzig. Er gewährt ihm nicht nur das Erbetene, sondern er erlässt ihm seine Schuld, die ganze riesengroße Schuld.

So wie dieser König handelt Gott. Niemand kennt den Vater, nur der Sohn kennt ihn und wem es der Sohn offenbart, sagt Jesus einmal. Hier offenbart er uns etwas von ihm, was wir von uns aus nie erwarten würden. Dieser König – Gott – ist nicht wie ein kalter Fels, an dem alles abrinnt, der von dem, was die kleinen Menschen tun, völlig unberührt bleibt. Er ist nicht der einsame Große, vor dem der Mensch und alles, was er tut – Gutes und Böses – wie ein Nichts ist. Nein, was wir Menschen tun und vor allem, was wir tun, die er an Kindes Statt angenommen hat, das berührt ihn so wie den König hier die Treulosigkeit seines Verwalters. Seine Empörung drückt sich in der Strafe aus. Diese Größe ist nicht unverletzbare Erhabenheit, sondern sie liegt in seinem Erbarmen. Auch dem Hochverschuldeten – eine größere Verschuldung, eine größere Schuld lässt sich überhaupt nicht mehr denken – erlässt er die Schuld, weil er ihn um Vergebung bittet.

 

Das ist das eine, was uns diese kleine Geschichte sagt: Wie Gott ist.

Das andere ist: wie der Mensch sein kann. Das wird dargestellt in dem ersten Diener, dem einflussreichen Verwalter. In dem Augenblick, in dem er vom König weggeht, trifft er auf einen anderen Diener, der ihm hundert Denare schuldig ist: eine Schuld, die man angesichts seiner eigenen Schuld als lächerliche Kleinigkeit bezeichnen muss. Mit den ganz gleichen Worten, mit denen er sich selbst an den König gewandt hat, wendet sich dieser an ihn: „Hab Erbarmen mit mir; ich werde dir alles zurückzahlen.“ Aber er ist taub für die Bitte des anderen und lässt ihn in das Gefängnis werfen. Im Umdrehen vergisst er, was ihm selbst zuteil wurde, und nimmt rücksichtslos seinen eigenen Vorteil wahr.

 

Ist diese Darstellung realistisch, sind die Menschen – sind wir Menschen wirklich so? Sicher kann man nicht allgemein sagen, dass die Menschen so handeln, aber eine gewisse Tendenz dazu ist sicher da. Es wird hier zumindest eine Gefährdung aufgezeigt, die für uns alle gilt, die wir sehen müssen, vor der wir uns hüten müssen. Konkret, als Frage: Sind unsere Wünsche und Erwartungen an andere oft nicht viel größer als die Bereitschaft, auf die Wünsche und Erwartungen anderer einzugehen? Wie nachdrücklich verlangen wir, dass sie uns verstehen, dass sie auf uns Rücksicht nehmen, dass sie uns nehmen, wie wir sind, dass sie Nachsicht üben, dass sie verzeihen! Das liegt ja alles auf der gleichen Linie und ist nur eine Steigerung! Und wie gering ist oft das Umgekehrte, die Bereitschaft, den anderen zu verstehen, Nachsicht  zu üben, Rücksicht zu nehmen, sie anzunehmen und zu verzeihen.

Und wie vergesslich können wir Menschen sein! Unser Diener hier vergisst im Umdrehen, was ihm zuteil wurde, und handelt allein aus dem Gedanken an seinen Vorteil. Das ist nicht unrealistisch, das geht nicht an der Wirklichkeit vorbei!

Hier in der Erzählung und in der Beobachtung anderer merken wir die Unstimmigkeit des Verhaltens sehr gut. Sind wir aber aufrichtig und wach auch uns selbst gegenüber? Das Sprichwort vom Splitter im Auge des anderen und vom Balken im eigenen Auge, das Jesus an anderer Stelle erwähnt, lässt sich sehr gut auch auf diese Fälle anwenden. Und wir müssten töricht sein, wenn wir glaubten, wir wären selbst nicht dieser Gefahr ausgesetzt.

 

3          Das Wichtigste, was uns dieses Gleichnis zeigen will, ist aber noch nicht gesagt. Es liegt nicht darin, dass es uns sagt, wie der Mensch sein kann, sondern es will uns zeigen, wie wir handeln müssen, wenn wir an Gott glauben, wenn wir die Barmherzigkeit Gottes für uns in Anspruch nehmen. Und wer müsste das nicht. Wer könnte sagen, ich bin ohne Schuld vor ihm!

Dass man im Fordern und im Geben nicht zweierlei Maß anwenden soll, dass man nicht vergesslich sein soll, das sagt einem schon der Verstand. Aber dass uns Gott unbegrenztes Erbarmen schenkt: das wissen wir nur aufgrund des Glaubens. Und das ist nicht nur ein Wissen, sondern eine Wirklichkeit, in der wir alle stehen und aus der sich eine unabdingbare Forderung ergibt. Gott schenkt sie uns ohne Vorleistung, so wie dieser König seinem Verwalter die Schuld ohne Vorleistung erlässt. Aber wie dieser, so verlangt Gott die Nachleistung, dass auch wir so handeln, dass wir Erbarmen haben, dass wir vergeben.

Es mag von der Veranlagung her dem einen leichter als dem anderen fallen, zu vergeben; das liegt auf einer anderen Ebene. Es gibt auch die Fälle, wo es tatsächlich sehr schwer ist, dem anderen zu vergeben. Aber jeder, der an die Vergebung Gottes glaubt, ist gehalten, aus diesem Geist zu handeln. Daran kommt niemand vorbei. Je mehr wir aber bedenken, dass wir selbst von Gott Beschenkte sind, umso leichter gelingt es uns auch, barmherzig zu sein.

 

C          Unser Evangelium berührt einen wichtigen Punkt unseres christlichen Lebens. Seine Botschaft steht nicht isoliert hier. Wir treffen in der ntl. Botschaft immer wieder auf sie. Die Wichtigkeit wird auch dadurch unterstrichen, dass uns Jesus im Vaterunser darum zu beten gelehrt hat: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Wir sollen nicht nur so handeln, sondern auch darum beten, dass wir so handeln können.

23. Sonntag im Jahreskreis

 

 

Die biblischen Lesungen bei der Messe des heutigen Sonntags handeln vom Thema der brüderlichen Liebe in der Gemeinde der Gläubigen, die ihren Quell in der Gemeinschaft der Dreifaltigkeit hat. Der Apostel Paulus sagt, dass das ganze Gesetz Gottes seine Erfüllung in der Liebe findet, so dass im Hinblick auf unsere Beziehung zu den anderen die Zehn Gebote und jede andere Vorschrift in folgendem Gebot zusammengefasst sind: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (vgl. Röm. 13,8-10). Der Text aus dem Evangelium, der dem 18. Kapitel nach Matthäus entnommen ist, sagt uns, dass die brüderliche Liebe auch einen Sinn für gegenseitige Verantwortung mit sich bringt; wenn sich daher mein Bruder mir gegenüber schuldig macht, so muss ich ihm gegenüber Liebe walten lassen und vor allem mit ihm persönlich sprechen, um ihm klarzumachen, dass das, was er getan oder gesagt hat, nicht gut ist. Diese Vorgehensweise heißt brüderliche Zurechtweisung: Sie ist keine Reaktion auf eine erlittene Beleidigung, sondern geschieht aus Liebe zum Bruder heraus. Der hl. Augustinus merkt dazu an: „Derjenige, der dich beleidigt hat, hat sich dadurch eine sehr schwere Wunde zugefügt, und du kümmerst dich nicht um die Wunde deines Bruders? … Du musst die Beleidigung vergessen, die dir zugefügt wurde, nicht die Wunde deines Bruders“ (Sermones 82,7).

Und wenn der Bruder nicht auf mich hört? Jesus verweist im heutigen Evangelium auf ein schrittweises Vorgehen … .

All dies weist darauf hin, dass es eine Mitverantwortung auf dem Weg des christlichen Lebens gibt: Jeder ist im Bewusstsein seiner eigenen Grenzen und Mängel aufgerufen, die brüderliche Zurechtweisung anzunehmen und den anderen mit diesem besonderen Dienst beizustehen.

 

                                                                                                                      Papst Benedikt XVI.

    Aus der Ansprache beim Angelus vom 4.9.2011

22. Sonntag im Jahreskreis

Im heutigen Evangelium erklärt Jesus seinen Jüngern, „er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen“ (Mt 16,21). Alles scheint sich in den Herzen der Jünger auf den Kopf zu stellen! Wie kann es möglich sein, dass “der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (V.16), bis zum Tod leiden soll? Der Apostel Petrus begehrt auf, er akzeptiert diesen Weg nicht, er ergreift das Wort und sagt zum Meister: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht geschehen!“ (V. 22).

Deutlich tritt hier der Gegensatz hervor, der zwischen dem Liebesplan Gottes, welcher bis zur Hingabe des eingeborenen Sohnes am Kreuz reicht, um die Menschheit zu retten, und den Erwartungen, Wünschen und Plänen der Apostel besteht. Und dieser Kontrast wiederholt sich auch heute: Wenn die Verwirklichung des eigenen Lebens allein auf den gesellschaftlichen Erfolg, auf den leiblichen und wirtschaftlichen Wohlstand ausgerichtet ist, so hat man nicht mehr im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen (V 23). Ein der Welt entsprechendes Denken heißt, Gott beiseite zu lassen, seinen Liebesplan nicht anzunehmen, ihn gleichsam daran zu hindern, seinen weisen Willen zu tun. Daher wendet sich Jesus mit einem besonders harten Wort an Petrus: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen“ (ebd.). Der Herr lehrt, dass der „Weg der Jüngerschaft […] Nachfolge hinter ihm, dem Gekreuzigten, ist. In allen drei Evangelien legt er aber auch diese Kreuzesnachfolge […] aus als den für den Menschen nötigen Weg des Sich-Verlierens, ohne den es dem Menschen nicht möglich ist, sich zu finden“ (Ratzinger, Jesus von Nazareth, S. 362). Wie an die Jünger, so ergeht die Einladung Jesu auch an uns: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24). Der Christ folgt dem Herrn nach, wenn er in Liebe sein Kreuz annimmt, das in den Augen der Welt wie eine Niederlage und ein „Verlieren des Lebens“ erscheint (vgl. V. 25-26). Dies in dem Wissen, es nicht allein, sondern mit Jesus zu tragen und seinen Weg der Hingabe zu teilen.

                                                                                                                                           Papst Benedikt XVI.

                                                                                          Aus der Ansprache beim Angelus vom 28.8.2011

21. Sonntag im Jahreskreis 1984

 

                                                                                                                      Rö 11,33-36

                                                                                                                      Mt 16, 13-20

 

A          Zwei Fragen stellt Jesus hier: Für wen halten die Leute den Menschensohn? Und dann: Für wen haltet ihr mich?

 

Die Antwort auf die erste Frage ist verhältnismäßig leicht zu geben. Sie verlangt keine Entscheidung. Man spricht ganz einfach davon, was man gehört und gelesen hat.

Anders die zweite Frage: Für wen haltet ihr mich? Sie ist an uns persönlich gerichtet. Sie verlangt eine Entscheidung, kein Bekenntnis.

Freilich: auch die erste Frage ist nicht unwichtig: Die Antworten darauf können uns helfen, selbst eine angemessene Antwort zu finden und zu geben.

Schauen wir uns deshalb einige Beispiele an von Menschen, die in unserem Jhdt. gelebt haben, nicht von großen Theologen, sondern von großen Menschen, denen Christus etwas bedeutet hat.

 

B 1       Der frz. Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur Henri Bergson - + des 2. Weltkrieges – hat geschrieben: „Was mich an Jesus besonders beeindruckt (hat), ist seine Weisung, immer voranzugehen.“ Das ist keine erschöpfende Antwort auf die Frage, wer Jesus ist, sondern eine Aussage, was er ihm bedeutet, eine Teilantwort. Aber solche Teilantworten sind meist ansprechender als umfassende Antworten.

„Was mich besonders beeindruckt (hat), ist seine Weisung, immer voranzugehen.“ Diese Weisung spricht Jesus direkt oder indirekt bei den Berufungen aus, am deutlichsten bei der, bei der er spricht: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückschaut, taugt für das Reich Gottes.“

In den Gesprächen mit den Menschen, denen Jesus begegnet, fällt ganz allgemein auf, dass er nicht mit ihnen über das spricht, was gewesen ist, was zurückliegt, selbst dann nicht, wenn jemand sehr viel auf dem Kerbholz hatte.

In der Begegnung mit dem reichen Jüngling interessiert ihn wenig, was dieser getan hat, sondern er sagt ihm, was er tun soll: jetzt und von jetzt ab. – Der Ehebrecherin hält er nicht eine Standpauke, sondern er sagt ihr: Sündige fortan nicht mehr. – Mit Petrus, der ihn schändlich verleugnet hat, rechnet er nicht ab, sondern er sagt ihm, dass er seine Brüder stärken solle.

Sicher, wir dürfen nicht einfach übergehen, was hinter uns liegt: wir müssen unsere Schuld eingestehen, wir sollen das Gute sehen, das uns zuteil wurde, wir sollen dankbar sein dafür; aber wir sollen nicht in der Vergangenheit herumkramen, immer wieder die alten Dinge auspacken oder gar anderen vorhalten, sondern wir sollen nach vorne schauen und vorangehen. Wir können das. Denn jeden Augenblick können wir, wenn wir nur wollen, einen neuen Anfang setzen und vorangehen. Es gibt keine Ketten, die uns daran hindern, denn Gottes Erbarmen ermöglicht es uns, uns von allen Ketten freizumachen.

Der doppelgesichtige Janus, der zugleich nach vorne und nach hinten blickt, ist kein Heiliger, sondern eine heidnische Göttergestalt. Paulus ist ein Heiliger, und er sagt von sich: Ich strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt. Ich sehe den Siegespreis, der vor mir liegt, ihn will ich erringen.

Was Henri Bergson an Jesus tief beeindruckt hat: seine Weisung, immer voranzugehen, hängt natürlich eng zusammen mit dem Verhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater. Und wir können ihm hier nur folgen, wenn wir aus einem ähnlichen vertrauensvollen Verhältnis zu Gott leben.

 

2          Ein anderes eindrucksvolles Christuszeugnis: das Zeugnis des früheren UNO-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld, der 1961 in Afrika abgestürzt ist. Es sind bekannte Worte, sie stehen sogar im Gotteslob. „Gib mir einen reinen Sinn – damit ich dich sehen kann, einen demütigen Sinn – damit ich dich hören kann; einen Sinn der Liebe – damit ich dir dienen kann; einen Sinn des Glaubens – damit ich in dir verbleiben kann.

Auch das ist eine Antwort auf unsere Frage, aber nicht in Form einer Auskunft, sondern eines Gebetes, wodurch deutlich wird, dass es bei Gott und bei Jesus nicht in erster Linie darum geht, dass man mit dem Kopf weiß wer er ist, sondern dass man zu ihm in ein echtes persönliches Verhältnis kommt, dass man mit ihm spricht, auf ihn hört, ihm dient, in ihm bleibt.

Die Form des Gebetes drückt zugleich aus, dass es, wenn heute nach Jesus gefragt wird, nicht nur um den Jesus von damals, um den historischen Jesus, sondern um den Auferstandenen, um den, der lebt, der bei uns ist.

Weil er lebt, deshalb kann ich mit ihm in ein unmittelbares Verhältnis treten, deshalb kann ich mich bittend an ihn wenden: „Gib mir einen reinen Sinn, gib mir einen demütigen Sinn …“ Ein Gebet zu Christus ist immer zugleich ein Bekenntnis zum Auferstandenen, zu dem, den der Vater auferweckt hat und der bei ihm ist.

Und noch etwas ist dieser Antwort eigen: Sie geht nicht in einer festen Vorstellung auf. Wie gefährlich es ist, sich von Jesus ein Bild zu machen, das sehen wir an den jüdischen Zeitgenossen Jesu. Sie alle haben auf den Messias gewartet. Aber sie haben sich von ihm ihr Bild gemacht und so den verkannt, den Gott gesandt hat. Dag Hammarskjöld betet, dass er ihn immer tiefer erfasst, dass er ihm treuer dient, dass er ihm immer enger verbunden wird. Das heißt zugleich, dass er sich ihm immer mehr anschließt und dass er ihn immer besser kennt.

 

3          Eine Art Zusammenfassung dieser beiden Aussagen von Henri Bergson und Dag Hammarskjöld finden wir bei Johannes XXIII. Er sagt zu Jesus: „Du, Jesus, hast mir den Weg gezeigt; ich werde dir folgen, wohin immer du gehst.“ Sein Glaube an Jesus erschöpft sich bei ihm und auch bei den vorhin Genannten natürlich nicht in diesem Wort, aber er hat in ihm eine Art Mitte. Und auch bei ihm geht es um den gelebten Glauben, nicht um ein System von Glaubenswahrheiten. Jesus ist ihm der Weg: Er hat uns den Weg gezeigt, den wir gehen müssen, und mit dem Weg natürlich auch das Ziel. Und im Vertrauen auf ihn können wir selbst diesen Weg gehen. „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir.“ So betete schon der atl. Psalmensänger. So dürfen erst recht wir im Blick auf Jesus beten. Er zeigt uns den Weg, nicht nur mit Worten, sondern durch sein ganzes Leben beschreibt er ihn uns, und er geht diesen Weg auch mit uns: das ist er, Jesus von Nazaret.

 

C          Für wen halten die Leute den Menschensohn? Für wen haltet ihr mich?

Man kann auf diese Frage als gläubiger Christ antworten mit den überlieferten Glaubensformeln, und diese sind heute genauso wahr wie damals, als sie formuliert wurden. Sie bleiben leicht im Formelhaften, im Begrifflichen stecken.

Die genannten Beispiele geben zwar keine umfassenden Antworten, aber sie sind sehr persönlich. Sie sind nicht einfach aus dem Vorratsschatz der Kirche geholt, sondern aus der eigenen Glaubenserfahrung gewonnen.

Nehmen wir sie, verstehen wir sie als eine geistliche Blutauffrischung für unseren Glauben.

 

20. Sonntag im Jahreskreis 1984

 

                                                                                                          Röm 11, 11 – 15. 29 – 32

                                                                                                          Mt 15, 21 – 28

 

A          Denken wir uns in jemanden hinein, der heute die Kirche besucht, der aber schon lange nicht mehr den Gottesdienst mitgefeiert hat, oder gar jemanden, der nicht Christ ist und dem das Evangelium ihm ganz fremd ist; und dieser hört das Evangelium, das wir eben vernommen haben, diesen Abschnitt, der von der Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau handelt. Er würde uns vielleicht sagen: Sehr schön benimmt sich dieser Jesus ja nicht. Und wir hätten es gar nicht leicht, diesen Eindruck zu korrigieren. Das Ganze wirkt ja doch irgendwie peinlich.

Andererseits müssen wir uns sagen: Wenn die Evangelisten Mt und Mk, die uns das Leben und die Botschaft Jesu berichten, auch diese Begebenheit erzählen, dann hat das sicher auch einen Sinn. Sie hätten diese ja genauso gut weglassen können. Auch den fünfzig bis achtzig Seiten, die ihre Evangelisten heute im Druck ausmachen, konnten sie ja sowieso nicht alles aufnehmen. Sie mussten. Sie mussten auswählen und zusammenfassen, und wie anders klänge das Gehörte, wenn man es kurz zusammenfasste, etwa so: Es kam eine kanaanäische Frau zu Jesus und bat ihn für ihre Tochter, dass er sie heile. Und er heilte sie. – Auch das wäre zutreffend. Aber sie führen auch die Einzelheiten an, und das hat sicher seinen Grund.

Der Gesichtspunkt, auf den es hier vor allem ankommt, wird zum Schluss von Jesus angesprochen: „Frau, dein Glaube ist groß.“ – Wir müssen hier vor allem auf die Frau schauen, die mit Jesus zusammentrifft.

 

B 1a)    Gleich zu Beginn wird von der Frau gesagt, dass sie eine Heidin ist. Aber sie hat großes Vertrauen in den, den sie mit „Herr, du Sohn Davids“ anredet. Sie spricht für ihre Tochter, die von einem Dämon gequält wird, d.h. von einer furchtbaren Krankheit geplagt wird. Mit der Erwähnung dieses Tatbestandes verbindet sie die Bitte: „Hab Erbarmen mit mir“ – mit mir, mit meiner Tochter: das geht auf das gleiche hinaus.

b)         Jesus schweigt, er gibt keine Antwort. Den Jüngern erklärt er dies damit, dass er zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesendet sei. Auch seine Wundertaten sind im Zusammenhang mit seiner Sendung zu sehen. Er ist kein Wundermann, der wunderwirkend durch das Land zieht; sondern seine Sendung ist es, das Reich Gottes aufzurichten, das Volk Gottes dafür zu gewinnen als ersten Schritt auf dem Weg zur Heiligung aller Menschen. Auf das zielen seine Worte und seine Taten und damit auch seine Wunder ab.

 

2          Die Frau aber lässt nicht locker: sie wirft sich vor ihm nieder und sagt: „Herr, hilf mir.“ Und wieder betont Jesus die Bindung an seine Sendung: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hündlein zu geben. Mit diesem Ausdruck Hund oder Hündlein, wie es eigentlich heißt, soll die Frau natürlich nicht beleidigt werden. Ere verwendet hier ein vertrautes Bild. Wie die Kinder, so gehörten die Hündlein zum Haus. Jesus bekräftigt damit nur den Vorrang der Kinder Israels. Die Frau aber fängt den Einwand sehr geschickt ab und sagt: „Du hast recht, Herr, aber die Hunde bekommen doch auch von den Resten des Brotes.“

Ein solcher Glaube ist mehr als die Zugehörigkeit zum Volke Gottes. Einem solchen Glauben kann Jesus nicht widerstehen, auch wenn ihn seine Sendung bindet. Er antwortet: „Frau, dein Glaube ist groß.“ Und die Erzählung schließt mit der Bemerkung: „Von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.“

 

3          Fragen wir uns: Wie hätten wir gehandelt, wenn es uns so ergangen wäre wie dieser Frau. Hätten wir nicht spätestens nach dem zweiten Versuch die Flinte ins Korn geworfen oder die Worte, die gar nicht beleidigend waren, als Beleidigung missdeutet und uns abgewandt
?

Was wir von der Frau lernen können, ist das große Vertrauen, mit dem sie bittet, mit dem sie betet. Und sie, eine Kanaanäerin, die nichts wusste von der Offenbarung Gottes im Lauf der Geschichte und sicher auch von Jesus nicht sehr viel wusste, und sie bittet mit einem solchen Vertrauen.

Wir kennen das AT, wir kennen die Geschichte Jesu, sein Leiden und Sterben für uns, wir wissen von seiner Auferstehung, wir wissen all das, was er von Gott, seinem Vater, gesagt hat: und wie klein ist oft unser Vertrauen, gerade beim Gebet!

Was erwarten wir denn im Innersten, wenn wir beten? Ist es nicht oft der Gedanke: ändern wird sich ichts; ob ich bete oder nicht: es bleibt alles, wie es ist. Die Nicht-Er-füllung wird also sehr oft schon vorweggenommen.

Erst vor kurzem habe ich wieder gehört, als ich jemand geraten hatte, in einem Anliegen doch auch zu beten: Ach, was bringt es denn schon. Da ist doch alles umsonst.

Und es gibt die, die das bekräftigen: wie oft habe ich es schon gebetet, und immer war es umsonst, noch nie habe ich etwas erreicht.

Ja, es liegt hier eine Versuchung des Unglaubens, die uns alle immer wieder beschleicht: die Versuchung, im Gebet müde zu werden und von Gott nichts mehr zu erwarten. Und das ist eine sehr gefährliche Versuchung, denn sie rührt an das Vertrauen, das unseren Glauben trägt und die Mitte des Glaubens ausmacht.

 

4          Wie kommen wir zu einem solchen Vertrauen und damit zu einem vertrauensvollen Beten?
 Sicher nicht dadurch, dass man es immer wieder einmal probiert, bis man es einmal bestätigt findet; denn das Vertrauen kann man nicht ausprobieren. Was man ausprobiert: darauf lässt man sich nicht ganz ein; da hat man immer noch seine Vorbehalte. Vertrauensvoll beten setzt voraus, dass ich an die Güte Gottes glaube und dass ich – dieser Güte vertrauend – auch spreche oder wenigstens denke: Dein Wille geschehe. Jesus selbst gibt uns für ein solches Beten ein Beispiel. Wenn ich auch diesen Schritt tue, dass ich ausdrücklich Gott die volle Freiheit im Vollzug seines Willens zuerkenne, dass ich es ihm überlasse, wie er meine Bitte erhört, dann bin ich bei dem uneingeschränkten Vertrauen, aus dem wir beten sollen. Ein solches vertrauensvolles Gebet ändert in jedem Fall etwas, auf jeden Fall mich, den Beter, selbst. Aber das kann man, wie gesagt, nicht ausprobieren. Hier gibt es nur den Ernstfall.

 

C          In meinem Buch, das sich mit verschiedenen Begegnungen Jesu befasst, wird die Betrachtung der Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau mit einem kurzen Gebet abgeschlossen. Es beginnt mit den Worten: „Herr, lass uns Freud haben an dieser Geschichte der heidnischen Frau. Gib uns einen solchen Glauben, der nicht lockerlässt. Du wirst uns nicht enttäuschen.“

Ja, man muss nicht nur im Glauben beten, sondern man muss auch um den Glauben beten. Und wir sollen dabei nicht nur an uns selbst denken!

Hochfest Maria Himmelfahrt

Hochfest Maria Aufnahme in den Himmel

Aus der Ansprache beim Angelus vom 15.8.2011

Papst Benedikt XVI.

                                                                      

Die Bibelstelle aus der Offenbarung des Johannes, die wir in der Liturgie dieses Hochfestes lesen, spricht von einem Kampf zwischen der Frau und dem Drachen, zwischen dem Guten und dem Bösen. Der hl. Johannes scheint uns erneut die ersten Seiten des Buches Genesis zu unterbreiten, welche das finstere und dramatische Ereignis der Sünde Adams und Evas erzählen.

Unsere Stammeltern erlagen dem Bösen; in der Fülle der Zeit besiegen Jesus, der neue Adam, und Maria, die neue Eva, endgültig das Böse, und das ist die Freude dieses Tages! Mit dem Sieg Jesu über das Böse, und das ist die Freude dieses Tages! Mit dem Sieg Jesu über das Böse sind auch der innere und der leibliche Tod besiegt. Maria war die erste, die den zum Kind gewordenen Sohn Gottes, Jesus, in ihre Arme geschlossen hat, jetzt ist sie die erste, die an seiner Seite in der Herrlichkeit des Himmels ist. Was wir heute feiern, ist ein großes Geheimnis, und vor allem ist es ein Geheimnis der Hoffnung und der Freude für uns alle: In Maria sehen wir das Ziel, zu dem all jene unterwegs sind, die es verstehen, ihm nachzufolgen, wie Maria es getan hat. So spricht dieses Fest von unserer Zukunft, es sagt uns, dass auch wir an der Seite Jesu in der Freude Gottes sein werden, und er lädt uns ein, Mut zu haben, zu glauben, dass die Kraft der Auferstehung Christi auch in uns wirken und uns zu Männern und Frauen machen kann, die jeden Tag danach trachten, als Auferstandene zu leben und in die Finsternis des Bösen, das in der Welt ist, das Licht des Guten zu tragen.

19. Sonntag im Jahreskreis 1984

 

                                                                                                                                                       Röm. 9, 1 – 5

                                                                                                                                                       Mt 14, 22 – 33

 

A          In der Geschichte jedes Volkes gibt es dunkle Punkte, Ereignisse, von denen man wünscht, dass sie sich niemals zugetragen hätten, von denen man am liebsten schweigen würde, weil sie beschämend sind.

Der dunkelste Punkt in unserer Geschichte ist sicher die systematische Vernichtung der Juden in der Zeit des 3. Reiches. Es ist eine bleibende Frage:  Wie konnte so etwas geschehen? Wie konnte es geschehen, dass man Millionen von Juden in die KZ im Osten verfrachtete und sie dort vergaste und verbrannte. Und das im 20. Jhrd., in einer Zeit, der die sog. Aufklärung vorausgegangen war!

Diese Frage hat viele Seiten. Eine Seite ist auch die Frage nach der Schuld der Christen. Wie weit waren wir Christen wenigstens unmittelbar an dem, was damals geschehen ist, mit schuld? Dass es sich hier nicht um eine überholte Frage handelt, zeigt die Tatsache, dass dieses Thema auch auf dem letzten Katholikentag in München behandelt wurde und dass die entsprechende Veranstaltung von Hunderten von Menschen besucht war.

Auf dieses Thema werden wir heute hingewiesen durch die Lesung aus dem Röm.-Brief des hl. Paulus, die wir vorhin gehört haben. Es war ein Abschnitt aus dem Kapitel, in dem er sich mit dem Schicksal Israels befasst.

 

B 1       Als Paulus seinen Brief an die Römer schrieb, war es mehr als 20 Jahre her, dass er sich, veranlasst durch ein tiefes persönliches Erlebnis, Christus zugewandt hatte, das aus dem Eiferer für das Judentum, der Paulus damals war, ein unermüdlicher Verkündiger des Evangeliums Christi geworden war. Die Juden sahen in dieser Bekehrung einen Verrat und in ihm einen Verräter. Er bekam das in den folgenden Jahren auch nachdrücklich zu spüren; die Apg. erzählt davon. Paulus drehte aber den Spieß nicht einfach um und vergalt nicht gleiches mit gleichem. Er wusste sich auch weiterhin seinem Volk verbunden, wie wir gerade hier sehen: er bekennt sich zu seiner jüdischen Abstammung und nennt die Juden seine Brüder. Es waren nicht nur die Bande des Blutes, die ihn mit dem jüdischen Volk verbanden, sondern auch die Hochschätzung dieses Volkes aufgrund seiner Stellung, die Gott ihm in der Heilsgeschichte zugewiesen hat. Es ist das Volk, das Gott sich erwählt hat, mit dem er seinen Bund geschlossen hat, dem er das Gesetz gegeben hat, dem er verheißen hat, dass aus ihm der Heilbringer hervorgehen werde.

Diese Erwählung ist eine Tatsache, und sie ist nicht aus der Welt zu schaffen. Sie ist auch damit nicht getilgt, dass die Führer des Volkes und der Großteil des Volkes den nicht anerkannt haben, der ihnen verheißen war, dass sie ihn aus ihrer Mitte ausgeschlossen haben.

Daran denkt Paulus, wenn er hier schreibt: „Ich sage die Wahrheit und lüge nicht …: Ich bin voll Trauer darüber, unablässig leidet mein Herz.“ Er leidet daran so sehr, dass er weiter sagt: „Ja, ich möchte selbst verflucht und von Christus getrennt sein um meiner Brüder willen, die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“ Das Höchste, die Gemeinschaft mit Christus, wäre er bereit hinzugeben, damit sie zur Gemeinschaft mit ihm gelangen. Das hört sich eigenartig an, fast wie ein Tausch; aber das ist es natürlich nicht. Es ist die höchste Steigerung des Wunsches, dass auch sie zur Erkenntnis Christi gelangen, bzw. höchster Ausdruck seines Leides, dass sie, die Erstberufenen, ihn verkennen und deshalb nicht anerkennen.

 

2          Die Haltung des Paulus sollte die Haltung aller Christen sein; wir sollten sie von ihm lernen.

a)         Das ist die wahre Großmut. Sie besteht nicht darin, dass man nicht unterscheidet und alles für gleich gut hält, dass man sagt, es ist eigentlich gleich, was einer glaubt, wichtig ist, dass er überhaupt etwas glaubt. Wenn man die Wahrheitsfrage ausklammert, löst sich die Großmut auf. Sie ist gerade dort gefordert, wo Unterschiede bestehen und diese auch gesehen werden.

b)         Für ihn ist der Glaube an Christus und die Beziehung zu ihm das Höchste. Und wer ist so tief wie er erfasst, was Christus für uns ist, was wir durch ihn für unser Leben gewinnen, der kann ihm darin nur zustimmen. – Und es wird ihn dann auch – wie den Apostel – bedrücken, dass andere, vor allem solche, die ihm nahestehen, nicht zu diesem Glauben gekommen sind, dass sie für dieses große Angebot Gottes taub sind.

c)         Er leidet darunter; aber er verurteilt nicht. Niemand weiß letztlich, warum sich andere gegen dieses Angebot sperren, warum sie nicht glauben, wo die Gründe dafür liegen. Wenn man diese nicht kennt, darf man auch nicht urteilen. Ganz allgemein sagt uns das Christus in der Bergpredigt: Wir sollen nicht urteilen. Das kommt allein dem zu, der alles weiß. Wir sollen sogar gut zu dem sein, der sich gegen uns vergeht, erst recht gegen den, der anders denkt als wir. Was ganz allgemein gilt, wird hier in Beziehung zu den Juden gesehen.

 

3          Die Geschichte zeigt uns, dass man in dieser christlichen Grundhaltung immer wieder versagt hat, dass man einer Judenfeindlichkeit verfallen ist und dabei noch geglaubt hat, besonders christlich zu denken und zu handeln, wenn man sie als Christus-Mörder anprangerte, ihnen deshalb allgemeine Rechte vorenthielt, sie zu Außenseitern der Gesellschaft machte mit all den Folgen, die sich daraus ergeben.

Wie es dazu kommen konnte: auch das hat seine Gründe, die zeitbedingt sind. Aber es war auch ein Versagen, das man nicht wegnehmen kann, sondern bekennen muss.

Was im 3. Reich geschehen ist, lag auf einer anderen Ebene. Den Weg nach Ausschwitz hat der radikale Abfall vom Christentum und von Gott geebnet. Dorthin hat man auch all die gebracht, die Christen waren, aber von jüdischer Abstammung, wie Edith Stein, die man aus dem Kloster holte und in diesen Augusttagen 1942 im KZ Ausschwitz umbrachte.

Aber auch unter Christen gab es eine antijüdische Stimmung und gibt es auch heute noch. Das darf aber nicht eine Feststellung bleiben. Wir müssen es als echte sittliche, religiöse Aufgabe sehen, dem entgegenzuwirken in uns selbst und um uns herum, und einem Denken Raum zu geben, wie wir es hier in unserer Lesung antreffen.

 

C          Ich habe eingangs schon von der Katholischen Tagesveranstaltung „Kirche und Judentum im 3. Reich“ gesprochen. Sehr unangenehm hat dabei berührt, dass in der anschließenden Diskussion unter größerer Zustimmung die vorwurfsvolle Frage gestellt wurde: Warum sitzt oben auf dem Podium kein Bischof als offizieller Vertreter der Kirche. Sofort möchte man wieder einen haben, dem man Schuld zuweisen kann. Aber gewonnen wäre damit nichts. Gewonnen ist nur etwas, wenn wir uns selbst angesprochen fühlen, wenn wir zum Denken, zum Umdenken veranlasst werden.

18. Sonntag im Jahreskreis 1984
  1. Sonntag im Jahreskreis

                                                                                                                     Röm 35. 37 -39                                                                                                                                                       Mt 14, 13 – 21

 

A         Das Evangelium von der Speisung der vielen hören wir verhältnismäßig oft. Der Grund dafür ist, dass sich diese Wundererzählung in jedem der vier Evangelien findet. Ob die Auswahl aus dem Evangelium nach Mt oder Mk oder Lk oder Joh genommen wird: Immer stoßen wir auf dieses Kapitel. Die Tatsache, dass wir es in allen Evangelien finden, ist sicher ein Zeichen für die Bedeutung, die man ihm beigemessen hat. Wir Heutigen hören diese Worte mit anderen Ohren als die Menschen damals, deren Blickwinkel viel enger war, als es der unsrige ist. Selbst die Gebildeten hatten damals keine Ahnung von der Größe Afrikas und Asiens, und von Amerika und Australien wussten sie überhaupt noch nichts. Sie haben alles, auch die Not gesehen im Rahmen ihrer kleinen Welt.

Wenn wir heute von Hunger und Brot hören, denken wir sogleich an die oft im großen, an die Not der vielen Millionen in den Ländern der 3. Welt. Doch auch unter diesen anderen Voraussetzungen hat das, was wir hier hören, seine Bedeutung.

 

B 1a)  Von den Jüngern heißt es hier: „Als es Abend wurde, kamen sie zu Jesus und sagten: „Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät. Schicke doch die Menschen weg.“ Zunächst waren die Jünger sicher erfreut, dass sich viele eingefunden hatten, um Jesus zu hören. Aber je später es wurde, umso unangenehmer wurde ihnen diese Menge. Was soll man mit ihr machen? Das einfachste: man schickt sie weg. Sie sollen selbst zusehen. Was sollte man für sie schon tun! Wenn sie weg sind, wenn man sie nicht mehr sieht, dann regt sich das unangenehme Mitleid nicht.

 

  1. b) In ganz ähnlicher Weise kann man sich dem großen Welthunger unserer Tage gegenüber verhalten. Auch diese Not kann man sich dadurch vom Leib halten, dass man sie nicht zur Kenntnis nimmt, dass man wegschaut von allen Bildern, in denen sich die Not zeigt, dass man das Mitleid nicht aufkommen lässt, das einen unruhig macht.

Diese Haltung, sich fremde Not vom Leib zu halten, ist gerade dann verständlich, wenn man zugleich seine Ohnmacht fühlt, wenn man die Not nicht beheben kann.

 

2          Im Vergleich zu den Jüngern ist Jesus in einer anderen Lage. Er muss nicht im Mitleid verharren; er kann die Kranken heilen und die Hungernden sättigen.

Man hört oft die Frage: Warum hat er eigentlich nicht mehr Kranke geheilt, warum hat er nicht mehr Not aus der Welt geschafft, warum nicht alle? Aber das mündet letztlich in die große Frage: Warum hat der Schöpfer überhaupt eine Welt geschaffen, in der es Leid und Not gibt?

Es ist das die quälende Frage, die die Menschen seit jeher bedrängt, eine Frage, für die es grundsätzlich keine Lösung gibt. Alle Versuche, eine solche zu finden, befriedigen letztlich nicht Seine Sendung. War es nicht, uns die Sorge für diese Welt, in der es Not und Leid gibt, aus den Händen zu nehmen und sie grundsätzlich zu tilgen. Seine Wundertaten sind nicht mehr als Zeichen, dass es dann, wenn das Reich Gottes volle Wirklichkeit ist, keine Trauer mehr gibt und keine Klage, keine Mühsal. Jetzt ist deren Linderung unsere Aufgabe. Das kommt zum Ausdruck in dem Wort Jesu an die Jünger: „Gebt ihr ihnen zu essen.“

 

3 a)     Man kann sich gut die Verlegenheit der Angesprochenen vorstellen. Was sollen sie denn tun? Die Zahl der Anwesenden ist mit 5000 Männern angegeben, dazu Frauen und Kinder. Auch wenn es nur einige wenige wären: es ist klar, dass sie nicht für alle etwas herbeischaffen können. Aber konnten sie nicht wenigstens etwas tun, wenigstens dem einen oder anderen etwas zukommen lassen? Sie sollten nicht gleich sagen: Das übersteigt unsere Möglichkeiten, sondern sie sollten zuerst überlegen: Was können wir tun, auch wenn es nur wenig ist.

  1. b) Das gleiche gilt in Bezug auf die weltweite Notlage. Sie ist so groß, und ihre Behebung ist so schwierig, dass man von vornherein zu sagen versucht ist: Da ist nichts zu machen. Jede Hilfe ist ein Schlag ins Wasser – ergebnislos und letztlich sinnlos – höchstens ein Mittel, um sein Gewissen zu beruhigen; in der Tat wird dadurch nichts verändert.
  2. c) Aber ist eine Hilfe, die auch nur einen oder eine Familie für einen Tag glücklich macht, gar nichts. Haben nicht auch die Tränen, die nicht geweint werden, irgendwo auf der Welt ihren Wert!

 

4          Wir müssen, was die Linderung der Not anbelangt, auf zwei Ebenen denken und handeln:

  1. a) Auf der einen Ebene muss es das Ziel sein, die Verhältnisse so zu ändern, dass die Entstehung von Not verhindert wird. Anders gesagt: Es muss heute Grundlegendes in der Weltwirtschaft geändert werden, damit jeder menschenwürdig leben kann. Das ist die große Lehre, die uns im vergangenen Jahrhundert im Zusammenhang mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Arbeiternot erteilt wurde. Allzulang hat man damals mit bloß caritativen Mitteln diese Not zu bannen versucht. Man hat zu lange gebraucht, bis Männer erklärt haben, dass es mit Unterstützungsmaßnahmen nicht getan ist, dass hier etwas Grundsätzliches geändert werden muss, dass die Not in der Wurzel getroffen werden muss.

Das gleiche gilt heute auf Weltebene. Mit der Linderung der Not ist es nicht getan; es muss die Ursache der Not behoben werden.

Freilich kann ihn dieser Hinsicht jeder einzelne von uns wenig tun. Ich und wir können keine Änderung vornehmen. Wir können sie nur unterstützen dadurch, dass wir sie gutheißen, dass wir bereit sind, damit verbundene Opfer auf uns zu nehmen und auch im Gespräch mit anderen diese Bereitschaft zu wecken. Die die politische Verantwortung haben, können in dieser Beziehung nur etwas tun, wenn sie wissen, dass das vom Volk mitgetragen wird. Und ganz so selbstverständlich ist das eben nicht.

  1. b) Das ist das eine, was geschehen muss: die Änderung der Verhältnisse. Hinzukommen muss die praktische Hilfe, um die augenblickliche Not zu verringern und zu beheben. Auch das ist unbedingt notwendig. Auch wenn die Hilfe zahlenmäßig bescheiden ist: ich sagte es schon: jede kleine Freude, die so bereitet wird, hat ihren Wert. So es um Menschen geht, darf man nicht nur rechnen. Auch das Wohl eines Menschen hat seinen Wert.
  2. c) Das „Gebt ihr ihnen zu essen“, das Jesus im Evangelium sprach, müssen wir im einen und im anderen Sinn verstehen.

 

C         Ich habe das, was wir im Evangelium hörten, nur übertragen auf die große Notlage, auf den Hunger in der Welt. Es ist etwas so Bedrängendes, dass sich der Gedanke an ihn sehr schnell einstellt. Es gibt aber viele andere Formen äußerer und innerer Not, auf die sich das hier Gesagte auch übertragen lässt. In jedem Fall geht es darum, von der Not nicht wegzuschauen und sich ernstlich zu fragen, was kann ich tun, entsprechend der Weisung: Gebt ihr ihnen zu essen.

17. Sonntag im Jahreskreis 1984

                                                                         

                                                                                                                                                   Mt 13, 44 – 52

 

A         Wie am vergangenen Sonntag besteht auch das Evangelium heute aus drei Gleichnissen: dem Gleichnis vom Schatz im Acker, dem Gleichnis von der Perle und dem Gleichnis vom Fischnetz. Alle drei handeln, wie die jeweilige Einleitung sagt, vom Himmelreich, vom Reich Gottes. Das letzte Gleichnis sieht es unter dem Gesichtspunkt des Zukünftigen, die ersten beiden, die eng zusammengehören, handeln vom Reich Gottes als etwas Gegenwärtigem. Diesen beiden wollen wir unsere Aufmerksamkeit widmen.

 

B 1      Das Gleichnis vom Schatz im Acker spricht von einem armen Taglöhner, der beim Pflügen auf einen vergrabenen Schatz gestoßen ist. Und der alles, was er hat, verkauft, um den Acker zu kaufen und auch in rechtmäßiger Weise in den Besitz des Schatzes zu gelangen. Dieses, alles hinzugeben, war für ihn kein Opfer. Er tut es voll Freude um des Gewinnes Willen.

Im zweiten Fall haben wir es mit einem Großkaufmann zu tun, der eine schöne Perle fand. Perlen wurden in der Antike sehr geschätzt und teuer gekauft. Auch er veräußert seinen entbehrlichen Besitz, um dieses besonders schöne Stück zu erwerben. Auch für ihn ist das kein Opfer. Voll Freude gibt er alles hin, um in den Besitz der kostbaren Perle zu gelangen. Ihr Wert übersteigt alles, was er dafür drangibt.

Sowohl das Finden und Erwerben des Schatzes als auch das Finden und Erwerben der Perle ist ein Bild für das Finden und Gewinnen des Reiches Gottes. Dieses ist ein so großer Wert, dass es sich lohnt, alles hinzugeben, um es zu erwerben. Das sagen uns die beiden Gleichnisse.

 

2          Die Übersetzung des Bildes in das Gemeinte macht uns keine Schwierigkeiten, jedenfalls verstandesmäßig nicht. Schwieriger ist es, das Gemeinte auch innerlich zu erfassen, es zu begreifen, dass wir davon auch ergriffen werden. Der Grund dafür ist nicht zuletzt der, dass der Ausdruck „Reich Gottes“ oder Himmelreich, wie es hier heißt – nicht ganz einfach ist.

Manche Theologen geben diesen Ausdruck „Gottesreich“ wieder mit „Gottesherrschaft“, um damit wenigstens deutlich zu machen, dass es hier nicht um ein „Etwas“ geht, um eine Sache, sondern um die Beziehung Gottes zu uns Menschen und umgekehrt. Freilich, ideal ist auch dieser Ausdruck nicht, weil es nicht um Herrschaft in dem Sinn geht, in dem wir dieses Wort gewöhnlich gebrauchen.

 

3          Am nächsten kommen wir dem Gesagten mit dem Ausdruck „Liebe Gottes“.

a)        Denn das enthält die Botschaft vom Reich Gottes zu allererst: das Angebot der vorbehaltlosen Güte Gottes. Er ist jedem Menschen wohl, er erweist jedem Verständnis und Verzeihung, und er kennt darin keine Grenzen.

Der Vergleich, den Jesus in der Bergpredigt bringt, dass die Liebe des Vaters der Sonne ähnlich ist, die über Guten und Bösen aufgeht, macht die Vorbehaltlosigkeit dieser Güte sehr anschaulich. Er erweist sie nicht nur denen, die deren würdig sind, sondern jedem. Die Würdigkeit ist nicht die Voraussetzung, sondern sie muss die Folge sein.

b)        Das Reich Gottes ist nicht nur ein Angebot, sondern auch ein Anspruch. Es verlangt die Umsetzung des Empfangenen in die Beziehung zu den Mitmenschen und verlangt, dass die Güte Gottes durch uns weiterwirkt, dass sie auch unser Handeln bestimmt.

Ein technischer Vergleich soll es verdeutlichen. Nehmen wir an, wir haben eine Lampe. Sie leuchtet erst dann, wenn wir sie an das Stromnetz anschließen, und zwar mit zwei Steckern oder (aus praktischen Gründen) mit einem Stecker, der zwei Pole hat. Wenn wir nur einen einstecken, leuchtet die Lampe noch nicht auf – erst wenn auch der zweite eingesteckt wird. Der Strom muss durchlaufen, erst dann leuchtet sie auf. Ein Pol allein nützt nichts.

Das ist ein banaler Vergleich für etwas ganz Großes, aber er kann deutlich machen, dass das Reich Gottes nicht nur die Beziehung Gottes zu uns bezeichnet, das, was uns von ihm her zuteil wird, sondern auch diesen Weiterfluss durch uns hindurch zu den anderen und durch sie letztlich wieder auf Gott hin.

 

4          In unseren Gleichnissen liegt der Akzent auf dem Punkt, dass der Finder von sich aus alles tut und mit Freude tut, um in den Besitz des Gefundenen, des Geschenkes zu kommen, dass er den Anspruch nicht als harte, lästige Forderung empfinde, die er nur notgedrungen auf sich nimmt. Es gibt für ihn nichts Sinnvolleres, als so zu handeln.

Wenn wir uns in unserer eigenen Welt um entsprechende Vergleiche umsehen, denkt man vielleicht an einen begeisterten Bergsteiger, der in den Mühen und Anstrengungen des Gehens und Steigens nicht etwas Lästiges sieht, sondern im Hinblick auf das Gipfelerlebnis mit Freude auf sich nimmt.

Es wäre gut, wenn sich jeder überlegte, was für ihn einen so großen Wert hat, dass die Mühen, ihn zu erlangen, überhaupt nicht zählen ja überhaupt nicht als Mühen empfunden werden, dass wir sie gerne auf uns nehmen.

Von solchen Vergleichen her müssen wir zu erfassen suchen, was es um die vorbehaltlose Liebe Gottes ist, so dass auch die Folgerungen, die sich daraus ergeben, zur Selbstverständlichkeit werden.

5          Man kann sagen: hier liegt der Schlüssel für einen gelebten Glauben, ich meine für einen Glauben, der nicht neben den anderen Lebensbereichen steht, sondern der dem ganzen Leben seine Prägung gibt. So lange wir das, was sich für unser Handeln ergibt, als ein „du sollst!“, „du musst“ empfinden, haben wir das Wesentlichste, das mit dem Begriff „Reich Gottes“ benannt wird, noch nicht oder noch nicht ganz erfasst.

Natürlich wird es immer wieder Situationen geben, in denen es nicht leicht ist, aus dem Geist der Güte zu handeln, die uns selbst zuteil wird. So harmlos ist das Leben nicht.

Aber es ist ein Unterschied, ob ich etwas nur als mehr äußere Forderung verstehe, oder ob ich es aus Einsicht in die Größe und den Wert des Reiches Gottes tue, auch dann, wenn es mit Opfern verbunden ist.

 

C         Schauen wir zum Schluss nochmals auf den, der den Schatz entdeckte bzw. die kostbare Perle fand und die alles verkauften, um das Gefundene zu erwerben.

Was haben wohl ihre Nachbarn gedacht, die das beobachtet haben? Sie haben sich sicher gedacht: der ist verrückt. Sie wussten ja nicht, warum sie es tun; sie wussten nichts von dem Schatz. Ohne diesen wäre ihr Handeln in der Tat eine Torheit; aber in Wirklichkeit ist es dieses nicht. Wer den Schatz entdeckt hat, der wird danach streben und nicht nur keine Mühe scheuen, sondern auch nicht danach fragen, was andere von seinem Tun halten, wie sie über ihn denken.

16. Sonntag im Jahreskreis

                                                                                                                                                   Mt 13, 24 -43

 

A             Das gehörte Evangelium ist zwar lang, aber es verliert sich nicht in der Unüberschaubarkeit. Es beginnt mit dem Gleichnis vom Unkraut im Weizen. Dann folgen die beiden kleinen Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig. Und dann gibt Jesus den Jüngern auf deren Bitten hin die Deutung des Gleichnisses vom Unkraut.

                Durch diese Deutung bekommt das an sich schon längere erste Gleichnis im Rahmen des Ganzen ein so großes Übergewicht, dass man die beiden anderen kleinen Gleichnisse fast übersieht.

                Es liegen diese drei Gleichnisse vom Sinn her ziemlich nah beisammen. Aber es hat doch jedes auch seine Besonderheit.

                Heute wenden wir uns dem letzten, dem kleinsten zu, dem Gleichnis vom Sauerteig, das nur aus einem Satz besteht: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit dem Sauerteig, den eine Frau unter einen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war.“

 

B 1          Der Übersetzer dieses Textes hat auf uns heutige Leser Rücksicht genommen. Er übersetzt das, was mit dem Sauerteig geschieht, so: Die Frau mischt ihn unter einen großen Trog Mehl. Ganz wörtlich heißt es: „Eine Frau verbarg ihn in drei Sea Mehl.“ Im griechischen Urtext steht eine sehr genaue Mengenangabe. Ein Sea ist ein altes Hohlmaß für Trockenes, das etwas über dreizehn Liter fasste. Drei Sea Mehl sind also etwa vierzig Liter Mehl. Das ist eine große Menge. Mit dieser Angabe wird ein Kontrast geschaffen zwischen der kleinen Menge Sauerteig und der großen Menge Mehl. Es ist ein ähnlicher Kontrast wie in dem anderen kleinen Gleichnis vom Senfkorn, wo dem kleinen Saatkorn die große Senfstaude gegenübergestellt wird. So klein die Menge Sauerteig auch ist im Vergleich zum Mehl: der Sauerteig steckt das Mehl um ihn herum an, durchsäuert es, und dieses wirkt in gleicher Weise weiter auf die nächste Schicht. Nach einer bestimmten Zeit sind die vierzig Liter Mehl durchsäuerter Teig.

                Viele haben diesen Vorgang sicher schon oft und oft beobachtet; aber auch die, die es noch nicht gesehen haben, können sich das wahrscheinlich gut vorstellen. Das Bild ist klar.

2 a)        Was soll uns aber damit gesagt werden? Mit ihm soll uns gezeigt werden, dass die „Sache Jesu“ weitergeht. So sagt man heute gerne. Es ist kein ganz glücklicher Ausdruck „die Sache Jesu“. Aber er ist etwas klarer als der Ausdruck Gottes-Reich. Er beinhaltet all das, was Jesus getan hat und was er als der Auferstandene auch heute noch wirkt.

b)           Der Grund dafür, dass Jesus dieses Gleichnis erzählt hat, mag darin liegen, dass schon die Jünger erkennen mussten, dass dem Wirken Jesu nicht der ganz große Erfolg beschieden war, den man eigentlich erwarten möchte. Es mag sich ihnen die Frage gestellt haben: Wie wird das wohl weitergehen. Sie brauchten ein Wort des Trostes, und dieses wird ihnen hier gegeben.

C)           Es liegt an uns Menschen, dass wir Erfolge sehen möchten. Ja wir werten sie vielfach so hoch, dass wir sie zum Maßstab des Richtigen machen. Als ob immer der das Richtige getan habe, der Erfolg hatte, und der das Falsche, dem der Erfolg versagt blieb.

                Statt eindrucksvoller Erfolge verkündigt Jesus einen langsamen Wandlungsprozess, einen langsamen Wachstumsprozess. Erst am Ende wird der große Erfolg stehen. Und dieser Erfolg ist letztlich nicht in der Tüchtigkeit der Jünger begründet, sondern in der Kraft, die im Reich Gottes, in der „Sache Jesu“ liegt.

 

3 a)        Es drängt sich wohl ganz spontan die Frage auf, ob die Entwicklung, die wir selbst miterleben, dem nicht widerspricht, ob dies nicht in die entgegengesetzte Richtung weist. Befindet sich die Kirche nicht auf einem großen Rückzug! Denken wir bloß daran, wie in den letzten Jahrzehnten der Kirchenbesuch zurückgegangen ist. 1959 lag er in der BRD bei 57%; heute liegt er ca. 25% darunter. Das gilt für den Durchschnitt. In vielen Stadtpfarreien liegt er prozentual noch wesentlich tiefer. – So ist es nicht nur bei uns, sondern auch in den Nachbarländern, ganz zu schweigen von den kommunistischen Ländern mit Ausnahme von Polen. Es gibt Zeitkritiker, die sprechen von unserer Zeit als der nachchristlichen Zeit.

b)           Man kann natürlich auch auf andere Erscheinungen hinweisen, vor allem, wenn man den Blick über Europa hinaus richtet. Der indische Bischof, der in den vergangenen Tagen zu Besuch hier war, erzählte, dass in Kerala, im südlichen Indien, in dem viele Christen leben, etwa 80% der Gläubigen den Gottesdienst besuchen. Und es verwundert nicht, dass es dort eine große Zahl von Priester- und Ordensberufe gibt.

c)            Aber was sagen schon Zahlen! Den Durchsäuerungsvorgang in einem Mehltrog kann man gut beobachten. Man sieht es, wie groß die Menge des durchsäuerten ist. Noch besser kann man es an der Senfstaude ablesen. Mit einem Kalender und einem Metermaß kann man den Wachstumsvorgang sehr genau erfassen.

Aber das Reich Gottes, die „Sache Jesu“ ist etwas ganz anderes. Das ist etwas Geistiges, so wie Gott geistig ist, und dieses kann man nicht so bestimmen wie das, was man mit den Augen sieht, und man kann es schon gar nicht messen.

 

4             So wie Jesus den Jüngern einst mit diesem Gleichnis Trost zugesprochen, so tut er es auch uns heute. Ich glaube, wir brauchen ihn sogar noch notwendiger, weil das Erfolgsdenken heute viel ausgeprägter ist, als es damals war, es werden alle auch von ihm mehr oder weniger stark angesteckt.

                Sicher: wir freuen uns, wenn wir vom Wachsen der Kirche in den Ländern der 3. Welt hören, wenn wir von neuen Aktivitäten erfahren, wenn wir einen lebendigen Katholikentag erleben. Andererseits trifft es uns, wenn wir hören, dass die religiöse Praxis, die Gottesdienstfeier, das persönliche Beten, abnehmen oder nacheinander Ordensniederlassungen aufgelöst werden müssen.

                Das eine und das andere bewegt uns, aber es soll uns nicht so bewegen, dass wir im Glauben unsicher werden, dass wir die Hoffnung auf die Kirche und auf die „Sache Jesu“ aufgeben und letztlich dann auch auf Gott.

                Nein, diese Hoffnung lebt nicht von den Zahlen der Statistiken, sondern sie lebt aus der Zusicherung Jesu, dass das Reich Gottes einem Sauerteig zu vergleichen ist, der unter einen großen Trog gemischt wird und dass er schließlich das Ganze durchsäuern wird.

 

C             Das Bild vom Sauerteig finden wir im NT auch noch an zwei anderen Stellen in je verschiedenem Sinn. Denkbar wäre auch ein Wort, in dem dieses Bild auf uns bezogen ist: „Ihr seid der Sauerteig, oder: Ihr sollt der Sauerteig sein, der unter das Mehl gemischt ist“. Dies ist in unserem Gleichnis ja auch enthalten, wenngleich verdeckt. D.h. wir sollen uns von der „Sache Christi“ – wir sollen uns von Christus – ergreifen lassen, dass wir auch andere anstecken.

15. Sonntag im Jahreskreis

 

Aus der Regensburger Sonntagsbibel

 

Im Evangelium des heutigen Sonntags (Mt 13,1-23) wendet sich Jesus an die Menschenmenge mit dem berühmten Gleichnis vom Sämann. Es ist dies ein in gewisser Weise „autobiographischer“ Abschnitt, da er die Erfahrung Jesu, seiner Verkündigung widerspiegelt: Er identifiziert sich mit dem Sämann, der den guten Samen des Wortes Gottes aussät, und er bemerkt die unterschiedlichen Ergebnisse, die er erlangt, je nach der Art der Aufnahme, die der Verkündigung entgegengebracht wird. Da ist der, der das Wort Gottes oberflächlich hört, es aber nicht annimmt; da ist jener, der es für den Augenblick annimmt, aber keine Ausdauer hat und alles verliert; ein weiterer wird von den Sorgen und Verführungen der Welt überwältigt; und da gibt es den, der es hört und wie der gute Boden aufnimmt: hier trägt das Wort Frucht in Fülle.

            Doch dieses Evangelium besteht auch auf der „Methode“ der Verkündigung Jesu, das heißt eben auf dem Gebrauch der Gleichnisse. „Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?“, fragen die Jünger (Mt 13,10). Und Jesus antwortet, indem er einen Unterschied zwischen ihnen und der Menge macht: Zu den Jüngern, das heißt zu denen, die sich bereits für ihn entschieden haben, kann er offen vom Reich Gottes sprechen, den anderen dagegen muss er es in Gleichnissen verkünden, um eben die Entscheidung, die Umkehr des Herzens anzuregen; die Gleichnisse nämlich erfordern ihrem Wesen nach das Bemühen um eine Interpretation, sie sprechen die Vernunft, aber auch die Freiheit an. Der hl. Johannes Chrysostomus erklärt: “Wo redet der göttliche Heiland, um sie an sich zu ziehen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen und ihnen zu zeigen, dass er bereit sei, sie zu heilen, wenn sie sich ihm zuwenden wollen“ (In Matthaeum homiliae, 45, 1-2). Im Grunde ist das wahre „Gleichnis“ Gottes Jesus selbst, seine Person, die im Zeichen der Menschheit die Gottheit verbirgt und gleichzeitig offenbart. Auf diese Weise zwingt uns Gott nicht, an ihn zu glauben, sondern er zieht uns an sich mit der Wahrheit und der Güte seines menschgewordenen Sohnes: die Liebe nämlich achtet stets die Freiheit.

                                                                       Aus der Ansprache beim Angelus vom 10.7.2011

14. Sonntag im Jahreskreis

Vorbemerkung: Auch, wenn die Predigt vom Katholikentag in München ausgegangen ist, hat der Inhalt für uns heute noch Aktualität.

                                                                                                          Röm. 8,9. 11 – 13

                                                                                                          Mt 11, 25 – 30

 

A         Es ist ein Unterschied, ob der Katholikentag, der alle zwei Jahre durchgeführt wird, in München oder in Düsseldorf stattfindet. Die räumliche Nähe bewirkt, dass das, was dort geschieht, stärker berührt als das, was 600 – 700 km weit weg geschieht, ganz abgesehen davon, dass es viel leichter möglich ist, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen.

            Es stellt sich (natürlich) nicht nur dem kritischen Betrachter von außen die Frage: Was bringt eigentlich eine solche Großveranstaltung? Lohnt sich der Aufwand? Ist das nicht bl0ß ein Strohfeuer, von dem auf die Dauer nichts bleibt?

            Die Frage isst berechtigt. Aber niemand kann darauf eine gültige Antwort geben. Wirkungen dieser Art sind sehr schwer zu beurteilen. – Natürlich wirkt ein solcher Impuls nicht auf immer weiter. – Wo etwas gibt es überhaupt nicht. Das Leben isst nun einfach so, dass immer wieder neue Impulse, Anstöße gegeben werden müssen und dass sie nur eine gewisse Zeit wirken. Das gilt für alle Bereiche des Lebens.

            Wenn durch diesen Katholikentag ein Anstoß gegeben wird in die Richtung, in die sein Motto weist „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt“, dann ist auf jeden Fall etwas sehr Wertvolles erreicht. – Über dieses Leitwort wollen auch wir hier etwas nachdenken!

 

B 1      „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt“: das ist ein sehr verhaltener Aufruf. Es heißt nicht: „traut“ dem Leben, „ihr sollt, ihr müsst dem Leben trauen“, sondern einfach „dem Leben trauen“. Hier spricht nicht jemand zu uns, der sich über uns erhebt, sondern der sich selbst miteinschließt, der sich das auch selbst sagt. Sie werden wissen, dass dieses Wort von Alfred Delp stammt, dem Münchner Jesuitenpater, der anfangs Februar 45 wegen seines Widerstandes gegen Hitler zum Tod verurteilt worden ist.

            Wörtlich heißt es bei Delp: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“ Durch dieses „Lasst uns …“ wird es deutlicher, dass er nicht nur zu uns spricht, sondern genauso zu sich selbst. Er spricht sich so selbst Mut zu.

2         Die Wahrheit, die Verheißung, die in diesem Wort zum Ausdruck kommt, stammt natürlich nicht von P. Delp. Er hat nur das, was uns Jesus gesagt und verheißen hat, in diesen Satz umgemünzt: „Lasst uns dem Leben trauen …, weil Gott es mit uns lebt.“ Die Texte aus der Hl. Schrift, die Lesung und das Evangelium, die wir heute gehört haben, zeigen das biblische Fundament dieses Menschenwortes sehr gut. Im Evangelium hörten wir Jesus sprechen: „Niemand kennt den Vater, nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“

Wie Gott zu uns steht, dass Gott mit uns lebt: das können wir nicht von uns selbst aus erschließen, das können wir uns nur von dem sagen lassen, der den Vater kennt, von dem, der eins ist mit ihm, von Jesus, seinem Sohn. Und in der Lesung wurde uns zweimal gesagt, dass der Geist Gottes in uns wohnt, der Hl. Geist, der uns in der Taufe und Firmung geschenkt wurde. Er ist nicht ein abstraktes Etwas, ein Edelstein, schön und kostbar, mit dem man nichts Rechtes anzufangen weiß. – Der Geist Gottes soll unser Denken und Wollen prägen; durch ihn haben wir Gemeinschaft mit Gott, durch ihn ist Gott bei uns, geht Gott mit uns.

Im Glauben an den Hl. Geist, der uns geschenkt wurde, konnte Alfred Delp sagen: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“

3         Wir wissen es alle, was die Nähe eines anderen bewirken kann; wir wissen, was es bei der Erfüllung einer Aufgabe ausmacht, ob man allein ist, ob man ganz auf sich gestellt ist oder ob man jemanden zur Seite hat, ob man an einem anderen eine Stütze hat. Diese Stütze braucht gar nicht sehr stark zu sein. Sie muss nicht stärker sein, als ich selbst bin. Es genügt, dass jemand da ist, dass man mit ihm sprechen kann. – Natürlich: die Stütze ist umso besser, je stärker der andere ist.

4 a)     Was wir in Beziehung auf andere Menschen aus Erfahrung kennen, das gilt auch in Beziehung auf Gott, vorausgesetzt natürlich, dass wir es aus ganzem Herzen glauben, dass Gott durch seinen Hl. Geist bei uns ist. Von Menschen, die in besonderer Bedrängnis waren, wissen wir, dass sie diese Nähe Gottes, an die sie geglaubt haben, besonders intensiv auch erfahren durften. – Ich denke an die, die wegen ihres Glaubens oder wegen ihres Einsatzes für die Rechte des Menschen eingekerkert und gefoltert wurden, wie das auch für P. Delp gilt.

            Manche von Ihnen werden die Eröffnung des Katholikentages am Mittwochabend über Rundfunk oder Fernsehen miterlebt haben. Der EB von München und Freising hat in seiner Ansprache eine Stelle aus einem Brief von P. Delp vorgelesen, wo er schreibt – ich kann es nicht genau wörtlich wiedergeben: Als man mich gestern Abend, nachdem man mich geprügelt hatte, wieder in die Zelle zurückbrachte, sagte einer der Peiniger: Du wirst jetzt natürlich nicht schlafen. Du wirst zu deinem Gott beten. Aber er wird nicht kommen und auch keinen Engel schicken, um dich zu befreien. Wir aber werden gut schlafen und uns stärken, um dich morgen wieder zu dreschen.

            Solche Erlebnisse bilden den Hintergrund des Wortes: „Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.“

b)        Im Vergleich dazu leben die meisten hier und heute im Himmel. Und wer in irgendwelche schwer belastende Not geraten ist, der muss wenigstens nicht den hämischen Spott, das böse Grinsen der Verursacher ertragen. Im Allgemeinen ist unser Leben heute heller. Dafür wollen wir sehr dankbar sein. Aber das soll uns nicht dazu verführen, diese Verheißung zu vergessen, dass Gott es mit uns lebt, dass er uns Halt und Kraft gibt, die verschiedenen Belastungen beherrscht auf uns zu nehmen, zu unserem Leben voll und ganz ja zu sagen, auch wenn die Erwartungen nicht erfüllt sind, und hoffnungsvoll in die Zukunft zu gehen.

C         Ich habe vorhin die Tatsache, dass Gott in unserem Leben bei uns ist, verglichen mit der Nähe anderer Menschen. Wir brauchen solche Vergleiche, um das zu begreifen, was wir nicht unmittelbar erfahren können.

            In einem Punkt unterscheiden sich die beiden Verhältnisse. Jede menschliche Gemeinschaft ist zeitlich begrenzt. Sie nimmt spätestens mit dem Tod ein Ende. Die Nähe Gottes bleibt uns immer erhalten. Ja, was wir jetzt nur im Glauben erfassen können, das wird sich – so dürfen wir hoffen – in der Anschauung Gottes erfüllen. Das ist das Höchste, was wir erlangen können. Auch das ist nicht immer leicht. Mancher würde lieber „aussteigen“. Gott mutet uns das zu. Aber er lässt uns dabei nicht allein. Er geht dieses Leben mit uns.

13. Sonntag im Jahreskreis

Text von Papst Benedikt XVI.

Aus der Regensburger Sonntagsbibel von Bischof Rudolf Voderholzer

 

Wenn wir innehalten und diesen Abschnitt des Matthäusevangeliums betrachten, der gewöhnlich „Aussendungsrede“ genannt wird, dann bemerken wir all jene Aspekte, die die missionarische Tätigkeit einer christlichen Gemeinschaft, die dem Vorbild und der Lehre Jesu treu bleiben will, kennzeichnen. Wer dem Ruf Jesu entsprechen will, muss mit Klugheit und Arglosigkeit jeder Gefahr und sogar den Verfolgungen gegenübertreten, denn „ein Jünger steht nicht über seinem Meister und ein Sklave nicht über seinem Herrn“ (Mt 10,24).

Eins geworden mit dem Meister, sind die Jünger nicht mehr allein bei der Verkündigung des Himmelreiches, sondern Jesus selbst wirkt in ihnen: “Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Mt 10,40). Darüber hinaus verkündigen sie als wahre Zeugen, „mit der Kraft aus der Höhe erfüllt“ (Lk 24,49), allen Völkern, „sie sollen umkehren, damit ihre Sünden vergeben werden“ (Lk 24,47). …

 

Damit die Kirche auch weiterhin die ihr von Christus anvertraute Sendung ausüben kann und es nicht fehlen möge an Verkündern des Evangeliums, derer die Welt bedarf, ist es außerdem notwendig, dass in den christlichen Gemeinden die ständige Erziehung der Kinder und Erwachsene zum Glauben niemals nachlässt und in den Gläubigen ein aktiver Sinn für die missionarische Verantwortung und die solidarische Gemeinschaft mit den Völkern der Erde aufrechterhalten wird. Durch das Geschenk des Glaubens sind alle Christen berufen, an der Evangelisierung mitzuarbeiten. Dieses Bewusstsein muss genährt werden durch die Verkündigung und die Katechese, durch die Liturgie und eine ständige Hinführung zum Gebet; es muss verstärkt werden durch die Übung der Annahme, der Nächstenliebe, der geistlichen Begleitung, der Reflexion und der Entscheidungsfindung, ebenso wie durch eine pastorale Planung, deren fester Bestandteil die Aufmerksamkeit gegenüber den Berufungen sein muss.

 

Nur in einem geistlich gut bestellten Acker gedeihen die Berufungen zum Priesteramt und zum geweihten Leben. In der Tat werden die christlichen Gemeinden, die die missionarische Dimension des Geheimnisses der Kirche in der Tiefe leben, niemals die Tendenz haben, sich in sich selbst zurückzuziehen. Die Sendung als Zeugnis der göttlichen Liebe wird besonders wirkmächtig, wenn sie in Gemeinschaft geteilt wird, „damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Das Geschenk der Berufungen ist das Geschenk, das die Kirche jeden Tag vom Heiligen Geist erbittet.

 

                                                                                  Aus der Botschaft vom 13.4.2008

 zum 45. Gebetstag um geistliche Berufungen

 

Fest Johannes des Täufers

Predigt von Dr. N. Fuchs

                                                                                                               Lk 1,57 – 66.80

A         Der hl. Johannes, dessen Geburtsfest wir heute feiern, ist uns kein Unbekannter. Aber es wäre übertrieben, wenn wir sagen wollten, wir kennen ihn. Wir wissen zwar von ihm mehr als von den meisten anderen Menschen aus der Nähe Jesu, aber auch bei ihm sind es doch nur einige Ereignisse; der größte Teil seines Lebens und Wirkens liegt für uns im Dunklen. Doch diese wenigen Ereignisse, das, was wir wissen über seine Geburt, sein Wirken in der Wüste, seine Haft und seinen Tod, reichen aus, dass wir uns ein Bild seiner inneren Gestalt machen können. Und dieses ist wichtiger als eine Fülle von äußerlichen Begebenheiten, die uns keinen Blick in sein Inneres eröffnen, die nichts über ihn selbst aussagen.

Im letzten liegt das Geheimnis seiner Person natürlich in der Berufung vom Mutterschoß an, in seiner Sendung, und diese entzieht sich unserem Verstehenwollen.Was macht aber das Geheimnis seiner Person aus, soweit es im Bereich des Verstehens und eventuell des Beispielhaften liegt? Das sei unsere Frage.

B I

1.    Um es vorwegzunehmen: die kürzeste Antwort auf die Frage, was das besondere Kennzeichen des Johannes ausmacht, ist wohl diese. Es war die Entschiedenheit, die Bescheidenheit seines Liebens, die Entschiedenheit, mit der er das Erkannte und von ihm Geforderte gelebt hat. Sehr anschaulich zeigt sich das in seinem Aufenthalt in der Wüste, von dem wir im Evangelium hören. Man kann zwar Gott überall suchen, nicht nur in der Wüste. Aber für die Menschen der damaligen Zeit war die Wüste der Ort des Gottsuchens. Für uns heute und hier wäre es mehr ein Luxus, dorthin zu gehen, aber für die Menschen damals am Rand der Wüste war es die angemessene Art, sich frei zu machen von den Dingen, von den unnötigen Sorgen, und die Aufmerksamkeit ganz auf Gott, auf das Wort Gottes und die innere Stimme zu richten.

Sich diesem Anruf zu öffnen, ist bereits eine Form der Entschiedenheit, auch wenn der Anruf, den man erkannt hat, nichts anderes als die Treue in den alltäglichen Dingen verlangt.

2           Der Auftrag des Johannes war es, die Menschen zur Umkehr zu rufen und so dem Herrn den Weg zu bereiten. Er gab sich in diesen Auftrag mit einer solchen Bestimmtheit hin, dass er sich selbst als Stimme des Rufers in der Wüste bezeichnen konnte. Er war nicht einer, der seinen Auftrag mit seinen persönlichen Interessen verband, sondern diese fielen in eins zusammen. Sein Interesse war seine Sendung. So kann man verstehen, dass die Menschen in Scharen zu ihm hinausgezogen sind, um ihn zu hören, dass sie sich von seinem Wort innerlich treffen ließen, dass sie ihn fragten, wie sie leben sollten. Der selbst entschieden war und entschieden lebte, konnte auch andere aufrütteln und bewegen, sich für das Gottgewollte zu entscheiden.

3           Von dieser Entschiedenheit war auch das Verhältnis des Johannes seinem Herrn gegenüber bestimmt. Wie kein Mensch, so hat auch Johannes die Würde Jesu nicht von sich aus erkannt, sondern Gott hat sie ihm offenbart. Er „sah den Geist gleich einer Taube vom Himmel herabsteigen und über ihm schweben; er hörte die himmlische Stimme, glaubte und wurde so zum Boten „des Lammes Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“. Ihm gegenüber bekennt er sich nicht würdig, ihm die Schuhriemen zu lösen, ihm diesen Sklavendienst zu erweisen. Und die ehrenvolle Frage, die der Hohe Rat an ihn richten lässt, ob nicht er der verheißene Messias sei, berührt ihn nicht im Geringsten. Er wollte nicht selbst Licht sein das er nicht war, wie es im Joh.-Prolog heißt: „Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht“. In dieser Hinordnung auf ihn sollte keine Unklarheit bestehen, um dem wahren Licht nichts an seiner Strahlkraft, an seinem Glanz zu nehmen.

4          Die Entschiedenheit des Johannes zeigt sich schließlich auch in der Auseinandersetzung mit König Herodes, die mit seiner Enthauptung im Gefängnis endet. Obwohl er dem Herrscher gegenüber die Kritik offen ausspricht, ist ihm dieser mit einer inneren Ehrfurcht und Hochachtung begegnet, weil er die Lauterkeit seiner entschiedenen Gesinnung erkannt hat.

II.

1       Die Entschiedenheit war damals und ist heute eine Sprache, die verstanden wird, und eine Haltung, die respektiert wird. Freilich soll es nicht nur diese Wirkung sein, die von ihr ausgeht, die uns zu dieser Haltung bewegt, sondern der Wert, der in ihr selbst liegt. Sie ist praktische Wahrhaftigkeit.

In der Bergpredigt sagt uns Jesus: „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein. Das gilt nicht nur für unsere Rede, sondern vielmehr noch für das Leben, das ja auch wahrhaftig und unwahrhaftig sein kann, das wahrhaftig sein soll.

2      Entschiedenheit ist eine Form von Wahrhaftigkeit, eine Haltung, die -wie gesagt – verstanden wird, die gewürdigt wird. Wir dürfen das wohl auch von uns selbst sagen, dass wir ein Gespür dafür haben, dass wir sie zu würdigen wissen. Und dennoch erliegen wir, was unsere eigene Entschiedenheit anbelangt, immer wieder der Versuchung, auszuweichen, erliegen wir der Inkonsequenz.

Woran liegt es? In den meisten Fällen dürfte es die Bequemlichkeit sein, die Nacht über uns gewinnt, oder die Feigheit, denn mit einer entschiedenen Haltung eckt man nur allzu leicht an. Oft sind es wohl auch Gedankenlosigkeit oder geistige Trägheit, die sich hier einmischen und die dazu führen, dass die im  Grundsätzlichen getroffene Entscheidung nicht zur alles bestimmenden Kraft wird, die sie eigentlich sein müsste, dass sie nicht zu der Entschiedenheit führt, die man eigentlich erwarten müsste, so wie wir das am Beispiel des hl. Johannes sehen.

C          Ein großer englischer Prediger des letzten Jahrhunderts hat auf seinen Grabstein statt des Namens die Worte setzen lassen: Der Knecht stirbt. Der Meister lebt. Man könnte sich das auch für Johannes d. Täufer denken, der die gleiche Gesinnung in die Worte fasste: „Er (Christus) muss wachsen, ich aber muss kleiner werden.“ Wenn eine Entschiedenheit nicht in den Fanatismus führen soll, dann muss sie mit dieser „Bewegung nach unten“ verbunden sein, und wo diese Bewegung ehrlich ist, ist sie immer auch mit der Entschiedenheit verbunden.

12. Sonntag im Jahreskreis

Text von Papst Benedikt XVI. zum 12. Sonntag im Jahreskreis

Aus der Regensburger Sonntagsbibel von Bischof Rudolf Voderholzer

Im Evangelium des heutigen Sonntags finden wir zwei Aufforderungen Jesu: zum einen „fürchtet euch nicht vor den Menschen!“ und zum anderen „fürchtet“ Gott (vgl. MT 10,26.28).

Wir werden so angeregt, über den Unterschied nachzudenken, der zwischen den menschlichen Ängsten und der Gottesfurcht besteht. Die Angst ist eine natürliche Dimension des Lebens. Von Kind auf ist man Formen von Ängsten ausgesetzt, die sich dann als imaginär erweisen und vergehen; andere, deren klare Gründe in der Wirklichkeit liegen, treten später zutage: Diesen muss mit menschlichem Engagement und Gottvertrauen entgegengetreten werden. Dann aber gibt es vor allem in unseren Tagen eine tiefere Form der existentiellen Furcht, die manchmal die Grenzen zur Lebensangst überschreitet: Sie entsteht aus einem Gefühl der Leere, das mit einer gewissen Kultur verbunden ist, die von einem verbreiteten theoretischen und praktischen Nihilismus durchdrungen ist.

Angesichts des weiten und vielfältigen Spektrums menschlicher Ängste ist das Wort Gottes eindeutig: Wer Gott „fürchtet“, hat keine Angst“. Die Gottesfurcht, die in der Heiligen Schrift als „Anfang der wahren Weisheit“ definiert wird, fällt mit dem Glauben an ihn zusammen, mit der heiligen Achtung vor seiner Hoheit über das Leben und die Welt. Ohne „Gottesfurcht“ zu sein würde bedeuten, sich an seine Stelle zu setzen, sich als Herren über Gut und Böse, über Leben und Tod zu fühlen. Wer hingegen Gott fürchtet, bleibt auch inmitten der Stürme ruhig, denn Gott ist, wie uns Jesus offenbart hat, der Vater voller Barmherzigkeit und Güte. Wer ihn liebt, hat keine Angst: “Furcht gibt es in der Liebe nicht“ – „sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe, und wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollendet“ (1 Joh 4,18).

Der Gläubige erschrickt vor nichts, da er sich in den Händen Gottes weiß, da er weiß, dass das Böse und das Unvernünftige nicht das letzte Wort haben, sondern dass der einzige Herr der Welt und des Lebens Christus ist, das fleischgewordene Wort Gottes, der uns bis zum Opfer seiner selbst liebte und am Kreuz für unser Heil gestorben ist.

                                                           Aus der Ansprache beim Angelus vom 22.6.2008

Herz - Jesu - Fest

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Text von Papst Benedikt XVI. zum Hochfest HEILIGES HERZ JESU

Aus der Regensburger Sonntagsbibel von Bischof Rudolf Voderholzer

 

Am vergangenen Freitag haben wir das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu gefeiert, das dritte und letzte der Feste, die nach dem Dreifaltigkeitssonntag und Fronleichnam der Osterzeit folgen. Diese Aufeinanderfolge lässt an eine Bewegung hin zur Mitte denken: eine Bewegung des Geistes, die Gott selbst lenkt. Denn aus dem unendlichen Horizont seiner Liebe heraus wollte Gott in die Grenzen der Geschichte und des Menschseins eintreten, er nahm Leib und Herz an; so dass wir das Unendliche im Endlichen betrachten und ihm begegnen können, dem unsichtbaren und unaussprechlichen Geheimnis des menschlichen Herzens Jesu, des Nazareners.

In meiner ersten Enzyklika zum Thema Liebe war der Ausgangspunkt gerade der Blick auf die durchbohrte Seite Jesu, wovon Johannes in seinem Evangelium spricht (vgl. 19,37; Deus caritas est, 12). Und diese Mitte des Glaubens ist auch die Quelle der Hoffnung, auf die hin wir gerettet sind, die Hoffnung, die ich zum Gegenstand der zweiten Enzyklika gemacht habe.

Jeder Mensch braucht eine „Mitte“ für sein Leben, eine Quelle der Wahrheit und der Güte, aus der er in der Abfolge der verschiedenen Situationen und in der Mühe des Alltags schöpfen kann. Beim stillen Innehalten hat es ein jeder von uns nötig, nicht nur den eigenen Herzschlag, sondern das Pochen einer verlässlichen Gegenwart in größerer Tiefe zu verspüren, die mit den Sinnen des Glaubens wahrnehmbar und dennoch weitaus wirklicher ist: die Gegenwart Christi, des Herzens der Welt. Ich lade daher einen jeden ein, im Monat Juni seine Verehrung des Herzens Jesu zu erneuern und so auch das traditionelle Gebet der Aufopferung des Tages zu intensivieren und dabei die von mir für die ganze Kirche gegebenen Gebetsanliegen zu beachten.

                                                                       Aus der Ansprache beim Angelus vom 1.6.2009

11. Sonntag im Jahreskreis

 

aus der Regensburger Sonntagsbibel von Bischof Rudolf Voderholzer

 

Mt 9,36 -10,8

Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich und sandte sie aus.

 

Als Jesus die Zwölf berief, wollte er symbolisch auf die Stämme Israels Bezug nehmen, die ja auf die zwölf Söhne Jakobs zurückgehen. Indem er deshalb in den Mittelpunkt seiner neuen Gemeinschaft die Zwölf stellt, lässt er verstehen, dass er gekommen ist, um den Plan des himmlischen Vaters zur Erfüllung zu bringen, auch wenn erst an Pfingsten das neue Antlitz der Kirche sichtbar werden sollte: wenn nämlich die Zwölf, erfüllt vom Heiligen Geist, das Evangelium in allen Sprachen verkünden werden (vgl. Apg 2,3-4). Da wird dann die universale Kirche sichtbar werden, die in einem einzigen Leib fassbar ist, dessen Haupt der auferstandene Christus ist, und die von ihm zu allen Nationen gesandt ist bis an die äußersten Grenzen der Erde (vgl. Mt 28,20). … Den Zwölf, so haben wir gehört, „gab […](er) die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen“ (Mt 10,1). Die Zwölf werden mit Jesus zusammenarbeiten müssen, um das Reich Gottes zu errichten, das heißt seine segensreiche Herrschaft, die Leben, ja Leben in Fülle für die ganze Menschheit bringt. Die Kirche ist also wie Christus und zusammen mit ihm dazu gerufen und gesandt, das Reich des Lebens zu errichten und die Herrschaft des Todes zu vertreiben, damit in der Welt das Leben Gottes triumphiere. Damit Gott triumphiere, der die Liebe ist. Dieses Werk Christi ist immer ein stilles Werk, es ist nicht spektakulär; gerade in der Demut des Kirche-Seins, des täglichen Lebens gemäß dem Evangelium, wächst der große Baum des wahren Lebens. Gerade mit diesem demütigen Anfängen ermutigt uns der Herr, damit wir auch in der Einfachheit der Kirche von heute, in der Armut unseres christlichen Lebens seine Gegenwart sehen und so den Mut finden können, ihm entgegenzugehen und seine Liebe auf der Erde sichtbar zu machen, diese Kraft des Friedens und des wahren Lebens.

                                                                                   Aus der Predigt am 15.6.2008 in Brindisi