Die Äbtissin

Äbtissin M. Petra Articus

Die Erste der Schwestern

Einer Äbtissin ist – wie einem Abt – die Verantwortung für ein Kloster anvertraut. Ihr Amt oder ihre Stellung als erste der Schwestern umfasst den Dienst, die Pflege des Beziehungsgefüges der Gemeinschaft ebenso wie die "Repräsentation der Abtei nach außen. Wenn Benedikt für den Vorsteher eines Klosters die biblische Bezeichnung "Vater" ins Spiel bringt, lenkt er nicht nur den Blick des Abtes darauf hin, wie er sein soll, sondern tut auch der Gemeinschaft kund, was sie vom Abt erwarten darf.

So ist auch die Äbtissin in erster Linie eine Schwester, die das Leben mit der Gemeinschaft teilt. Von innen her versucht sie auf grundlegende Weise die im Konvent gelebte Treue gegenüber dem Evangelium und der Regel, die Verantwortung, Einsatzbereitschaft, Solidarität, Autorität, Frömmigkeit usw. auf Christus hin zu lenken, der alle in seine Schule des Herrendienstes berufen hat.

 


Leben nach den Regeln des hl. Benedikt

Ebenso richtungsweisend wie Benedikts Kapitel über den Abt, ist für die Äbtissin von Seligenthal ein Wort des Hl. Augustinus. Dessen Regel ist noch älter als die des Hl. Benedikt. Was Augustinus über das Bischofsamt sagt, gilt auch für sie: "Für euch bin ich Abt, mit euch bin ich Mönch."

Die Äbtissin ist auf den Konvent bezogen, und die Mitschwestern stehen in Bezug zur Äbtissin und untereinander. Gemeinsam richten sie ihren Blick auf das Ziel, Christus immer ähnlicher zu werden, "der Liebe zu Christus nichts vorzuziehen", wie es in der Regel heißt.

Benedikts Anforderungen an den Abt, den Prior, den Cellerar, den Krankenpfleger und an alle Amtsträger gelten grundsätzlich für alle Brüder und ebenso auch für uns Schwestern. 


Sie sind Idealvorstellungen, denen wir uns nähern sollen, hinter denen wir aber immer zurückbleiben. Benedikt beschreibt ja nicht einen Ist-Zustand, sondern einen Soll-Zustand. Trotzdem sind die Anforderungen Benedikts an den Abt, wie ein guter Vater, Lehrer, Hirte und Meister zu sein, ernst zu nehmen.

So geben sie doch jedem Abt und jeder Äbtissin die Richtung an, weisen auf das stete Unterwegs-Sein hin und machen bewusst, wie wichtig es ist, jeden Tag neu anzufangen. Die tägliche Reflexion im Angesicht des eigentlichen Vaters des Klosters zeigt die Ohnmacht und Begrenzung der eigenen Fähigkeiten. Umso mehr lässt sie vertrauen auf das Wirken Gottes, der der eigentliche Vater, Lehrer, Hirte und Meister ist. 


Nur so, aus dem Glauben an die Gegenwart Christi gemäß seiner Verheißung, immer bei uns zu sein, kann eine Äbtissin das berühmte Wort Benedikts am Anfang seines Abtskapitels annehmen und auf sich beziehen: "Christi enim agere vices in monasterio creditur" – der Glaube sieht im Abt den Stellvertreter Christi im Kloster.

Hier appelliert Benedikt an unsere Glaubenssicht. Unsere klösterliche Gemeinschaft soll ein Abbild des trinitarischen Geheimnisses sein, eine Gemeinschaft der Liebe und des Lebens. Abt Bruno Fromme schreibt dazu in seinem Kommentar zur Benediktusregel "Der Liebe zu Christus nichts vorziehen" (S. 51): "Abba, Vater, ist daher die Einladung, tief in das Mysterium Christi, das Wirken des Heiligen Geistes und Gottes Vaterschaft selbst einzugehen. Darin liegt unsere Sicherheit und Kraft. Denn Christus lebt in und mit uns diese Sohnschaft, das Kindesverhältnis zum Vater." 


Spannungsfelder

Die Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist für die Äbtissin wie für die Schwestern eine ständige Herausforderung, das "durch Christus, mit ihm und in ihm" in Wort und Tat Wirklichkeit werden zu lassen. Leben und Lehre einer Äbtissin müssen in Einklang stehen, will sie von den Schwestern ernst genommen werden. Der Wahlspruch der derzeitigen Äbtissin von Seligenthal – "Die Freude an Gott ist unsere Kraft" aus dem Buch Nehemia – prägt nicht nur ihr eigenes Verhalten, sondern hat auch Auswirkung auf den Konvent.

Äbtissin zu sein bedeutet zweierlei: Einerseits Haus und Tagesablauf so zu strukturieren, dass menschlich wohlwollende Beziehungen begünstigt werden, andererseits direkt Leitungsfunktion zu übernehmen. Benedikts Wunsch ist es, dass der Abt nach dem Beispiel Christi seine Autorität im Geist des Dienens ausübt. 


So muss sich die Äbtissin stets ihrer Verantwortung vor Gott und den Schwestern bewusst sein, und diese in ihrer Würde als Kinder Gottes achten und wertschätzen.
Ist Belehrung, Mahnung, Tadel oder gar Zurechtweisung notwendig, wozu Benedikt den Abt direkt auffordert, kommt der menschlichen und geistlichen Haltung der Äbtissin ein eminentes Gewicht zu. Das Entgegenbringen von Vertrauen und Zutrauen muss alle Amtshandlungen prägen. Zudem sollen diese möglichst transparent, offen und gerecht sein und immer Benedikts Wunsch nach der rechten Discretio berücksichtigen.


Hinzu kommt, dass gerade im Alltag wichtige Informationen rechtzeitig und an alle weitergegeben werden sollen. Die Amtsführung einer Äbtissin wird von einer wechselseitigen Beziehungsdynamik bestimmt, treten ja Anforderungen von außen und innen an sie heran. Allein auf sich gestellt, auch mit Hilfe des Gebetes, kann sie nicht immer wissen, was das Richtige für die Gemeinschaft oder die einzelne Schwester oder für die ganze Abtei ist.

Wichtige Entscheidungen sollten immer in Absprache mit der Priorin, den anderen Amtsinhaberinnen, nach einer Ratssitzung oder einem Konventkapitel getroffen werden


Repräsentantin des Klosters

Das Auftreten nach außen als Repräsentantin der Abtei in der Kommune wie bei den Behörden, sowie das Wirken im Kloster selbst, wird trotz aller allgemeinen Anweisungen Benedikts immer auch geprägt sein vom Charakter der jeweiligen Äbtissin. Immer aber soll das Verhalten sich an dem Wunsch orientieren, Gott zu loben und den Mitschwestern zu dienen.  


Erläuterung des Wappens der derzeitigen 43. Äbtissin von Seligenthal, M. Petra Articus

Das vom Abtstab geteilte Wappen enthält die Symbole der Kirche, des Ordens, der Abtei Seligenthal und der persönlichen Herkunft und Berufung der Äbtissin.

Die linke, obere Hälfte enthält das Zisterzienserwappen, auf schwarzem Grund ein schräg rechts steigender rotweiß geschachteter Balken. Auf der linken unteren Seite des Wappens ist auf goldenem Grund das Marienmonogramm abgebildet, das für den Reichtum der Gnade, und für Maria als Ordens-, Haus - und Namenspatronin steht.

Die rechte Seite greift Elemente aus dem Familienwappen der Äbtissin (mütterlicherseits) auf, nimmt Bezug zum Namen und dem Amt. In Blau gekreuzte Schlüssel unter gleichschenkeligem goldenen Kreuz, Heilszeichen, zwischen zwei Engelsschwingen aus dem Wappen der Familie von Angeli, Engel begleiten das Amt. Der Petrusschlüssel, Bekenntnis zur Kirche und zum Namenspatron, wird gekreuzt von einem "Generalschlüssel" klösterlicher Amtsbefugnis, der in einer blühenden roten Rose endet – Gottesliebe zu uns ermöglicht Wachstum und Blühen. Dreibogige Schlüsselgriffe: Teilhabe an der trinitarischen Gemeinschaft.

Der Wahlspruch der Äbtissin ist dem Buch Nehemia Kapitel 8, 10 entnommen. "Die Freude an Gott ist unsere Kraft."

Die Wahl zur Äbtissin fand am 24. Juli 1999 statt, die Benediktion am 2. Oktober durch den H.H. Generalabt Maurus Esteva. Den Festgottesdienst zelebrierte Bischof Manfred Müller.